»AUF DER JAGD NACH DEM NIERENSTEIN«

Reisen durch die Raucherlunge

Abenteuer bei den Blutkörperchen

Wie oft hat man sich nach zigarettenreich durchzechter Nacht gefragt, wie es in der heimischen Lunge wohl aussehen mag. Trostlos. Als Fantasy-Film-Reise durch den menschlichen Körper beginnt Auf der Jagd nach dem Nierenstein genau dort. Im Lungentrakt. Die Atemwegsarbeiter haben es von allen am schwersten. Mit dicken Wischmops versuchen sie den teerigen Belag von den Bronchien zu schrubben - eine hoffnungslose Angelegenheit. Wie Kohlekumpel kurz vor der Rente sehen sie aus. Grau, keuchend, verbraucht. Dunkle Fäden hängen von den Wänden herab. Neblig düstere Stimmung herrscht in der Lunge eines alten Mannes.
Auf der Jagd nach dem Nierenstein von der norwegischen Regisseurin Vibeke Idsöe ist so eine Art Bio-Thriller für Heranwachsende. Der kleine Simon muß hilflos mitansehen, wie sein Großvater sich nachts mit starken Krämpfen quält. Schuld daran ist der titelspendende Nierenstein. Auf den Rat seines Teddybären hin verwandelt sich Simon mittels Zaubertrank in einen mikroskopisch kleinen Zwerg und seilt sich, nicht ohne vorher die Schuhe abzuputzen, durch den Mund in das Körperinnere des alten Mannes ab. Man ist froh, von der allzu schnulzigen Rahmenhandlung befreit zu werden, und man wird mit einem Fantasy-Film versöhnt, der seinem Ettikett alle Ehre macht. Mit überschwenglichem Gestaltungswillen werden hier Adern, Därme und Organe als bunte eigentümliche Kulissen aufgebaut: Das Herz ein roter Tempel mit Liebeswächterinnen, der Blinddarm - eine dunkle Höhle, in der Arbeitslose vom Rest der Welt vergessen vor sich hin vegetieren, die Galle, ein ungemütlich feucht-nasser Ort, in dem Frau Galle mit harter Hand regiert und ihre Arbeiter ein "mehrfach ungesättigtes Fettleben" führen. Die Akteure dieses medizinischen Spektakels stecken in spacigen Ganz-Körper-Latex-Applikationen (Kostüme: Vin Burnham). Zum körpereigenen Personal gehören u.a. das tapfere weiße Blutkörperchen Karta und das hübsche rote Blutkörperchen Aviola, und nicht zu vergessen der Herr vom "Sekret-Service" aus der Abteilung für Körpersekrete. Auf einer Erdnuss wird durch das Gedärm gesurft. Auch wenn so mancher Übergang von einem ins andere Organ aus medizinischer Sicht bedenklich erscheint, landet das Helden-Trio Simon, Karta und Viola schließlich in der Niere, wo die bösartigen Salzhacker gerade einen Nierenstein aufbauen. In einem erstklassigen computergenerierten Showdown kommt es zum finalen Kampf zwischen den Kids und den kristallartigen Monstern.
Mich hat das Ganze sehr an die alten Jules-Verne-Klassiker a la Reise bis zum Mittelpunkt der Erde erinnert. Aufwendiger natürlich und irgendwie auch digitaler ist Vibeke Idsöes Spielfildebüt, mit dem sich die kleine norwegische Filmindustrie finanziell verausgabt hat.
Auf der Jagd nach dem Nierenstein ist nicht unbedingt ausschließlich ein Kinderfilm. Der Schauwert, den die Kulissenbauer und Maskenbildner da zusammengebastelt haben, wird auch das reifere Publikum ganz gut unterhalten. Ein Familienfilm könnte man also sagen. Aber dann traut sich ja wieder keiner rein. Also sagen wir es nicht.
Natürlich riecht die Angelegenheit ein wenig nach Nachhilfeunterricht in Biologie, und der didaktische Subtext nervt uns, die wir doch mit viel Mühe endlich erwachsen geworden sind ... ein wenig.

Martin Schwickert