FINDET NEMO Heute gibt's Fisch
Der erfolgreichste Trickfilm aller Zeiten ist sein Geld wert Es gibt Flatterer und Ruderer. So etwas muss man wissen, wenn man einen Film wie Findet Nemo machen will. Clownfische zum Beispiel bewegen sich mit rudernden Brustflossenschlägen fort und wackeln bei höherer Geschwindigkeit lasziv mit dem Hinterteil. Blaue Paletten-Doktorfische hingegen flattern hektisch mit den Seitenflossen, schlagen unvorhersehbare Haken und bewahren mit ihrem schmalen, steifen Körper immer eine gewisse Contenance. Man muss lange in ein Aquarium hineinsehen, um solche Unterschiede zu entdecken, und noch länger, um daraus kinotaugliche Charaktere zu entwickeln. Die Leute vom Animationsstudio Pixar , das mit Toy Story und Monster AG Trickfilmgeschichte geschrieben hat, haben viele tausend Arbeitstunden vor Aquarium und Computerbildschirm verbracht, um dem Fisch auf den Grund zu kommen. Dabei sind die Schuppentiere von Hause aus eher unattraktive Filmgeschöpfe. Mund auf, Mund zu - zu mehr Mimik ist die Spezies eigentlich nicht fähig. Aber was die Pixar -Animateure aus so einem simplen Fischkopf herausholen, ist einfach bestechend. Allein für das Grübchenlächeln von Paletten-Doktorfisch-Dame Dory, die dank ihres defekten Kurzzeitgedächtnisses so glücklich in die Minute hineinlebt, lohnt sich der Weg ins Kino. Und das sind nur Details. Es gibt auch noch das große Ganze: den Ozean, der hier vor allem ein Meer der Farben ist, das alle Designer von 70er-Jahre-Bars vor Neid erblassen lässt. Gewagte Kombinationen aus Rosa, Orange, Türkis, Knallgelb und Ultramarin bestimmen die wohlig poppige Atmosphäre. Zusammen gehalten wird das Wasserspiel von der rührigen Geschichte eines alleinerziehenden Fischvaters. Clownfisch Marlin hat fast die ganze Brut samt Gattin bei einem Barrakuda-Angriff verloren. Sein einziger Sohn Nemo gerät am ersten Schultag in den Kescher eines Tauchers und landet im Aquarium einer Zahnarztpraxis, wo die Mitgefangenen gelangweilt über Wurzelbehandlungen fachsimpeln. Der ängstliche Marlin begibt sich auf eine abenteuerliche Suche nach dem verlorenen Sohn, die ihn mit allen Exzentrikern der Meeresfauna bekannt macht. Seit Findet Nemo mit einem US-Einspielergebnis von fast 340 Millionen Dollar die Disney-Produktion König der Löwen als erfolgreichsten Trickfilm aller Zeiten entthront hat, wird viel über den Untergang des Animationsfilm-Imperiums spekuliert. Die zweidimensionalen Disney-Figuren seien gegenüber den 3-D-Fischen aus den _Pixar_-Computern einfach nicht mehr konkurrenzfähig, heißt es. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht in der Technik. Die Macher von Findet Nemo verstehen nicht nur ihr Pixel-Handwerk, sondern auch etwas vom Witzemachen. Ihr Humor funktioniert auf der kindlich-direkten Ebene ebenso gut wie auf dem ironisch-intellektuellen Level der Erwachsenen. Nur zu oft endeten Hollywoods Versuche, die Zielgruppe von 8-80 zu bedienen, in müder Kompromissware, die den Kleinen nicht albern genug und den Erwachsenen einfach zu blöde war. Über die Haifisch-Selbsthilfegruppe, die in Findet Nemo versucht, zum Vegetariertum zu konvertieren, kann jede Generation aus eigenen Gründen lachen. Trotz ausgeklügelter Familiy-Entertainment-Strategien und Technik-Superlativen bewahren sich die Pixar -Filme immer noch einen gewissen Happening-Charakter. Im Grunde hat man das Gefühl, dass hier ein paar begnadete Kindsköpfe alles zusammengetragen haben, was ihnen zum Thema "Fisch" einfiel, und glücklicherweise auch noch über genug Geld und Know-How verfügten, um diese Ideen ins Bild zu setzen.
Martin Schwickert
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