»DER AMERIKANISCHE NEFFE« Dörfliche Moral
Ein schwarzer Hip Hop-Boy in Irland In den 70ern hat Karen die irische Westküsteninsel Inis Dara verlassen und ihr Zimmer unterm Dach ist noch immer unverändert: Fransenjacke, Plattenspieler, Fanposter - die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein. Die dörflichen Moralvorstellungen, deren Einhaltung der ältere Bruder Tony (Donal McCann) so rigide überwachte, wurden schnell zu eng für Karen. Sie ging nach New York und ließ nie wieder von sich hören. Zwanzig Jahre später steht Karens 17jähriger Sohn Chad (Hill Harper) nach dem Tod seiner Mutter an dem kleinen Fährhafen von Inis Dara seinem einzigen Verwandten gegenüber. Onkel Tony staunt nicht schlecht. "Du bist ein wenig dunkler, als ich erwartet habe", kommentiert er launig, denn er wußte nicht, daß Karen mit einem Schwarzen verheiratet war. Die Hälse werden lang, wenn der "Afro-Irish-American" mit Rasta-Locken und Ghetto-Outfit durch das Dorf stolziert. Neugier und Arwohn mischen sich in den Blicken, und erst als der Hip-Hop-Boy mit glasklarer Stimme irische Traditionals vorsingt, scheint das Eis zu brechen. Auf der kleinen Farm des Onkels hilft der Großstädter, so gut er kann, und versinkt mit seinen schicken Turnschuhen knöcheltief im Mist. Als der ahnungslose Chad jedoch in der Familiengeschichte zu graben beginnt, reißen alte Wunden auf. Der Wirt des Dorfes Joe Brady (Pierce Brosnan) war einst die große Liebe von Chads Mutter gewesen, und ausgerechnet in Bradys Tochter verliebt sich nun der Sohn. Die Gräben sind tief, aber der Film arbeitet sich fleißig zum versöhnlichen Ende vor. Irlands Hauptexportartikel sind die Töchter und Söhne des Landes, alleine in New York leben mehr Iren als auf der grünen Insel. Auch der irische Regisseur Eugene Brady wurde in den USA ausgebildet und sein Debütfilm ist nicht nur thematisch unübersehbar ein amerikanisch-irisches Zwitterprodukt. Mustergültig werden hier dramaturgischen Formatvorlagen und Kitschstandards des Hollywoodkinos bedient und mit irischen Heimatbildern und Humoreinlagen versetzt. Das Potential der Geschichte vom schwarzen Mann auf der grünen Insel wird an familiäre Rührseeligkeiten verschenkt. Der irische 007-Darsteller Pierce Brosnan, der den Film auch produziert hat, wirkt als liebeskranker Wirt hinter dem Tresen völlig deplaziert. Alle wollen Bier, niemand Martini und der Ernst der Rolle verlangt den Verzicht auf elegantes Dressman-Lächeln. Neben hochkarätigen Schauspielern wie Donal McCann steht Brosnan ziemlich verloren in der weiten irischen Landschaft und verkörpert unfreiwillig das Dilemma dieses Films, der vergeblich amerikanischen Kommerz und europäische Tiefgründigkeit miteinander zu verbinden sucht.
Martin Schwickert
|