NAOKOS LÄCHELN

Yesterdays

Unglückliche Lieben in Japan

Es ist 1968, wir sind 19 und in Japan. In den Augenwinkeln bricht eine neue Zeit an, Transparente schwingen vorbei, einmal besetzen Studenten ein Seminar und wollen diskutieren statt Theaterwissenschaft zu studieren. Wir aber sind 19 und haben wichtigere Probleme. Toru zum Beispiel ist unzertrennlich befreundet mit Naoko und Kizuki. So erinnert er sich als Erzählerstimme aus einer unbekannten Zukunft. Zusammen strichen die drei durch die Hügel, das Paar und ihr bester Freund. Dann bringt sich Kizuki schon nach wenigen Filmminuten um, Naoko flieht trauernd zu ihren Eltern, und Toru beginnt zu studieren.

Dort trifft er Naoko wieder. Beide haben eine leidenschaftliche Nacht, in der herauskommt, dass Naoko nie mit Kizuki geschlafen hat. Toru ist sehr verliebt, Naoko aber flieht erneut, verschwindet in einem Sanatorium. Toru studiert weiter, arbeitet in Fabrik und Plattenladen, lässt sich von seinen Komilitonen ins neue Leben einführen, treibt sich in Bars herum und lernt Midori kennen. Die mag Toru auch sehr, will sich ihn aber nicht mit dem Schatten Naokos teilen.

Damit vergeht der größte Teil des Films, mit einem ziellosen Flattern zwischen Gestern und Morgen, Aufbruch und Beharren. Und überraschenden Gesprächen über Scheidentrockenheit, Schwanzgrößen, Frauentausch und der einen ordentlichen Heirat, die später sicher noch kommen wird. Romantische Liebe, sexuelle Freizügigkeit und traditionelle Verhältnisse reiben sich aneinander. Naoko verzweifelt daran, dass sie Kizuki nicht lieben konnte und nimmt es Toru übel, dass es ihr mit ihm gelang. Toru verzweifelt daran, dass Regisseur Tran Anh Hung ihn minutenlang durchs tiefe Gras hetzt, immer hinter Naoko her, die bei einem rasenden Spaziergang im Sanatoriumsgarten ihr Herz kompliziert ausschüttet. Um beim nächsten Besuch ganz unschuldig nachzufragen, ob unbefriedigte Erektionen eigentlich weh tun.

Tran Anh Hung wechselt zwischen langen, schwelgerischen, sprechend romantischen Naturaufnahmen, üppigen Wiesen, treibendem Schnee, kabbelndem Meer und meist halbdunkel ausgeleuchteten stillen Interieurs. Zwischen langen Gesprächen und plötzlich abgebrochenen stummen Bildern, in denen mal einer schläft, mal sich in den Finger schneidet, mal sich auf die Füße guckt, offenbar um aufzubrechen.

"Wo bist du gerade?" fragt Midori am Ende, nach allerlei Verwicklungen und mehreren Toden, als Toru sie anruft. "Was meinst du damit: Wo bin ich gerade?" fragt Toru zurück, weil es damals ja schließlich noch keine Handys gab. Das ist die Frage: Wo steht der jugendliche Liebhaber jetzt? Knietief in Schmerz und Trauer, aber offenbar mit dem Gesicht nach Morgen.

Wing

Norwegian Wood. J 2010 R: Anh Hung Tran B: Anh Hung Tran, Haruki Murakami K: Ping Bin Lee D: Rinko Kikuchi, Kenichi Matsuyama, Kiko Mizuhara, Kengo Kora