»MÜTTER & SÖHNE«

Hungern und Kämpfen

Die Macher von »Im Namen des Vaters« bleiben ihrem Thema treu: dem Nordirischen Widerstand

Es scheint so, als würde nun, nachdem so etwas wie Frieden in Nordirland eingekehrt ist, dieser politische Konflikt auch als spielfilmtauglicher Kinostoff Anerkennung finden. Dreißig Jahre lang tobte ein blutiger Bürgerkrieg an der europäischen Peripherie, ohne auf der Leinwand nennenswerte Beachtung zu finden. Im Namen des Vaters griff vor zwei Jahren eine von einer Unzahl tragischer Geschichten dieses Krieges auf. Ungläubig verfolgte das internationale Kinopublikum die auf Tatsachen beruhende Story der "Birmingham Six", die aufgrund eines gezielten Justizirrtums mehr als zwanzig Jahre unschuldig in britischen Gefängnissen einsaßen. In Nordirland wußte das jedes Kind, lange bevor Jim Sheridan und Terry George es auf die Leinwand brachten. Das gleiche Team hat nun mit vertauschten Rollen (Terry George - Regie, Jim Sheridan - Drehbuch und Produktion) in Mütter und Söhne einen weiteren neuralgischen Punkt in der Entwicklung des Nordirland-Konfliktes vor die Kamera gezerrt: Der Hungerstreik von Bobby Sands und anderer IRA-Gefangener im Jahre 1981, bei dem sich zehn Männer zu Tode fasteten, ist in Irland schon fast zum historischen Mythos geworden.
Der Film schildert die Ereignisse aus der Perspektive einer Mutter, deren Sohn sich an dem Hungerstreik beteiligt. Kathleen Quigley (Helen Mirren) kümmert sich nicht viel um die politische Konfrontation in ihrem Land. Nach dem Tod ihres Mannes konzentriert sich die Lehrerin auf Job und Familie. Die Quigleys leben ihr familiäres Idyll abgeschieden in einem Fischerdorf in mittelständischem Luxus. Der Blick aus dem Wohnzimmerfenster fällt auf eine Bucht mit weißem Sandstrand - ein irisches Postkartenmotiv. Doch der Krieg in Nordirland, den Kathleen mit pazifistischer Grundhaltung verdrängt, ist schon längst in die heile Privatsphäre eingedrungen. Ohne ihr Wissen beteiligt sich Sohn Gerard (Aidan Gillen) an Aktionen des lokalen IRA-Kommandos. Während Kathleen ihre Schülerinnen im Square-Dance unterrichtet, greifen Gerard und seine Gefährten einen britischen Kontrollposten an. In harter, schneller Parallelmontage schneidet Terry George die beiden Welten gegeneinander, bis durch die Explosion in der Schule die Scheiben zerbersten. Als Gerard einige Wochen später verhaftet wird, steht die politische Realität in Form eines vandalierenden polizeilichen Durchsuchungskommandos in Kathleens Wohnzimmer.
All dies geschieht im Jahre 1979. Die Thatcher-Regierung setzt gerade eine härtere Linie in der Nordirland-Politik durch. Im Headquarter der britischen Armee weist der Hardliner Farnsworth (Tom Hollander) seine Untergebenen gerade in die neue Strategie ein: Isolation und Kriminalisierung des Widerstandes, verbunden mit einer Demoralisierung der Bevölkerung. Seit Ende der 70er galten die Mitglieder der IRA nicht mehr als normale Kriegsgegner, sondern als Terroristen und Kriminelle - eine Umdefinierung, die bis heute in der internationalen Öffentlichkeit Anerkennung findet. Als Gerard und sein Mitstreiter Frank Higgins (David O'Hara) nach einem Schnellgerichtsverfahren im Gefängnis Long Kesh eingeliefert werden, schließen sie sich den Protesten der Gefangenen gegen die Aberkennung des politischen Status' an. Sie weigern sich, die Gefängnisuniform zu tragen und beteiligen sich später auch am unbefristeten Hungerstreik.
Mütter und Söhne zeichnet mit größtmöglicher historischer Genauigkeit die dramatischen Ereignisse von damals nach und verbindet dies mit einer konventionellen Entwicklungsdramaturgie. Durch das Engagement für das Leben ihres Sohnes wird die Figur Kathleen einem politischen Bewußtseinsprozeß unterworfen und in eine Gewissensentscheidung hineingedrängt. Am Schluß wird Kathleen mit ihrer Unterschrift darüber entscheiden, ob der Hungerstreik abgebrochen und das Leben ihres Sohnes gerettet wird.
Auch wenn Terry George die ganze Geschichte mit wirklich hinreißender Emotionalität bestückt und optisch spannungsvoll ins Bild setzt, bleibt das Anliegen, hier in einem populären Medium Geschichtsunterricht betreiben zu wollen, eine Belastung für den Film: Der adäquate Umgang mit diesem schwierigen historischen Stoff ist sicherlich gelungen. Die Mühe, die das gekostet hat, ist jedoch in jeder Szene erkennbar.

Martin Schwickert