»DER MUSTERSCHÜLER« Der war's!
Der alte Sack und das kleine Arschloch Bryan Singer fasziniert das Böse. In seinem Meisterwerk Die üblichen Verdächtigen war das ein ungarischer Untergrundfürst, und der stolperte bis zum Ende unerkannt durch das Geschehen. "Wer hat das getan?", lautete dereinst die zentrale Frage. Singers neuer Streich setzt bereits an diesem Punkt ein. In Der Musterschüler , nach einem Roman von Stephen King, ist das Grauen zu Beginn personifiziert: Es ist ein ehemaliger SS-Offizier, der seit Jahrzehnten unauffällig in einer amerikanischen Kleinstadt wohnt. Das Wer verschiebt sich zum Wie. Insbesondere College-Primus Todd (Brad Renfro), dem im Titel benannten Muster an Wissensdurst, interessiert die Frage. Er hat den Altnazi enttarnt und strebt nun ein Intensivstudium der Grausamkeiten an. Todd verspricht, sich über die wahre Identität Dussanders (Ian McKellen) auszuschweigen, solange dieser ihn mit Vernichtungsdetails aus erster Hand "unterhält". Ein psychologischer Kleinkrieg beginnt. Von seinem begierigen Zuhörer angestachelt, enthüllt Dussander Verbrechen mit wachsender Lust am Quälen. Im Gegenzug wird Todd von nächtlichen und täglichen Alpträumen heimgesucht, seine Noten verschlechtern sich rapide, während sich seine Faszination für Dussander proportional steigert. Bryan Singer wagt sich mit Der Musterschüler an einen reizvollen, aber schwierigen Themenkomplex. Philosophische Themen gehen mit psychologischen und rechtsstaatlichen Fragen einher. Was gilt das Leben eines Menschen? Was bewirkt die Aufarbeitung einer unheilvollen Vergangenheit? Verjährt die daraus erwachsene Schuld? Singer bevorzugt eindeutig psychologische Komponenten. Er inszeniert in der ersten Hälfte ein Kammerspiel, das ihm vor lauter Ambitioniertheit entgleitet. Behäbig stellt er beider Geschichten dar, ohne zu polarisieren. Daraus entwickelt sich eine überlange Psychotherapie denn ein spannender Plot. "Wie hat es sich angefühlt?", will Todd endlich über das sinnlose Töten wissen. "Es war etwas, das getan werden mußte", antwortet Dussander. Die Antwort befriedigt weder den Fragensteller noch den Zuschauer - und so muß sich etwas Hochdramatisches ereignen, damit Todd am Ende einen ähnlichen Schluß ziehen darf. Die Standorte wechseln, Singer spielt mit den Proportionen im Bildaufbau und baut eine marginale Spannung auf. Er zitiert Lynch und Hitchcock, sehnt sich nach dem großen Kino, daß ihm hier nicht gelingt. Die Moral von der G'schicht: Das Böse stirbt nie, es versteckt sich in heimeligen Siedlungen nur besser. Für so eine magere Conclusio hätte Singer keinen Mimen wie Sir Ian McKellen verbraten müssen. In seinem nächsten Werk sollte er sich wieder auf das Wer konzentrieren.
Ulf Lippitz
|