Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit Der Gehilfe Eddie Marsan als spröder Bürokrat mit Herz kümmert sich um die Toten Mr. May hat einen traurigen Job. Er kümmert sich um einsam Verstorbene, um Tote, die keine Angehörigen haben. Mr. May geht dann in die Wohnung der Verstorbenen und sucht nach Dingen, die ihm einen Hinweis geben, etwa auf eine Tochter, eine Schwester, einen Freund. Meistens aber findet M. May niemanden und geht dann allein mit dem Pfarrer hinter dem Sarg her, auf den Friedhof, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Mr. May ist verschroben, aber mit Herz. Er schält einen Apfel auf die immer gleiche Art und Weise, aber wenn ein wichtiger Anruf kommt, kann er den halb geschälten Apfel einfach liegenlassen. Er schreitet jeden Tag gemessenen Schrittes zur Arbeit, aber wenn er sieht, dass bei einem fahrenden Lieferwagen die hintere Tür nicht richtig schließt, kann er rennen wie der Teufel und dem Fahrer hinterherrufen "Die Tür ist offen!" Und wenn das alles nicht hilft und trotzdem ein Teil der Lieferung auf die Straße fällt und es sich dabei um ein paar Becher Häagen-Dazs handelt - dann sehen wir Mr. May eine Szene später, wie er mit großer Neugier zu Hause einen Becher Häagen-Dazs auslöffelt. Mr. May ist offen für neue Erfahrungen. Wenn Großmimen wie Bruno Ganz solche Rollen in die Finger bekommen, dann entstehen oft enorm peinliche Filme, weil Leute wie Ganz ganz viel Wert darauf legen, nicht zu "spielen". Sie legen dann sehr oft den Kopf etwas schief, gucken schrullig und sprechen leise (Kopfschieflegen macht übrigens auch William Hurt, aber der kann das). Der immer noch unterschätzte Eddie Marsan (der in der großartigen TV-Serie "Ray Donovan" permanent unterfordert ist), spielt diesen Mr. May mit ernster Freundlichkeit. Mr. May hat ein offenes Lächeln und große staunende Augen. Er kann Missbilligung auf sehr britische Weise durch Körperhaltung zum Ausdruck bringen. Und er widerspricht den Menschen, auch wenn er sie versteht. Bis zum Ende des Films bleibt offen, ob Mr. Mays nicht einer der letzten Engel Gottes auf der Welt ist. Eines Tages stirbt jemand in der Wohnung gegenüber von Mr. May. Das geht ihm sehr nahe, denn von seinem eigenen Appartement aus kann er auf das Fenster des jetzt toten alten Mannes sehen. Und obwohl Mr. Mays Abteilung im Laufe des Films aufgelöst wird, verfolgt er das bewegte Leben dieses Toten, der ein paar Freunde hatte und Saufkumpane und eine Tochter, in die sich Mr. May später ein bisschen verlieben wird. "Hätten Sie nächsten Freitag Zeit für eine Tasse Kaffee oder eine Schokolade?", fragt die Tochter Mr. May. "Das würde mir sehr gefallen", sagt Mr. May, "ich hätte große Lust auf eine Tasse irgendwas, und ich habe sehr viel Zeit." Uberto Pasolini, mehr Produzent als Autor, hat sich diese Geschichte ausgedacht und inszeniert. Es ist erst seine zweite Regiearbeit, aber von der Bildauswahl über die wunderbar minimalistische Musik, vom Schnitt-Rhythmus bis hin zu vielen Details am Bildrand, über die der Film erzählt wird, merkt man Still Life (so der schöne Originaltitel) an, dass Pasolini seit 30 Jahren im Geschäft ist. Das Ende ist ebenso traurig wie märchenhaft. Und es enthält keine Botschaft. Jedenfalls keine, die über ein erstauntes Lächeln von Eddie Marsan hinausginge. Thomas Friedrich Still Life I 2012 R & B: Uberto Pasolini K: Stefano Falivene D: Eddie Marsan, Joanne Froggatt, Karen Drury, Andrew Buchan. 92 Min.
|