Moonrise Kingdom Leicht entrückt Zwei Kinder auf der Flucht vor den Erwachsenen: Wes Anderson bleibt seinen eskapistischen Vorlieben treu Als Sam (Jared Gilman) bei einer Schultheateraufführung den Raben erblickt, ist es um sein junges Pfadfinderherz geschehen. Zielstrebig sucht er das Mädchen im Vogelkostüm in der Garderobe auf und zwischen den beiden Zwölfjährigen entwickelt sich eine ausdauernde Brieffreundschaft, in deren Verlauf sie ihre gemeinsame Flucht beschließen. Suzy (Kara Hayward) wohnt mit ihren Eltern (Frances McDormand / Bill Murray) und zwei jüngeren Brüdern in einem Leuchtturm auf einer Insel vor der Küste Neuenglands. In der Abgeschiedenheit pflegt das Ehepaar munter seine Neurosen und Suzy steigt jeden Morgen mit dem Fernglas auf die Aussichtsplattform und sehnt sich weit weg von ihrer Familie. Auf derselben Insel befindet sich ein Pfadfinderlager, in dem Scout Master Ward (Edward Norton) ein strenges Regime führt. Als sein Schützling Sam beim Morgenappell fehlt, alarmiert der Lagerleiter den Dorfpolizisten Captain Sharp (Bruce Willis) und leitet mit seinen Boy Scouts eine großangelegte Suchoperation ein. Dank Sams pfadfinderischen Fähigkeiten hat das junge Paar längst Zuflucht in einer versteckten Bucht gefunden und sich dort mit Zelt, Lagerfeuer, tragbarem Plattenspieler und einer kleinen Bibliothek häuslich eingerichtet. "Moonrise Paradise" nennen die beiden ihr Idyll, wo sie sich zum ersten Mal küssen und die Unumstößlichkeit ihrer Liebe besiegelt wird. Ein Liebesmelodram im Pfadfindermilieu anzusiedeln ist eine vielversprechende Idee und Regisseur Wes Anderson ist genau der richtige Mann für solch eine skurrile Mixtur. Schon in der melancholischen High-School-Komödie Rushmore (1998) zeigte Anderson seine Vorliebe für leicht entrückte Charaktere, die sich der Profanität der gesellschaftlichen Wirklichkeit verweigern. Es folgte die schräge Familienchronik The Royal Tenenbaums (2001), der maritim-philosophische Abenteuerfilm Die Tiefseetaucher (2004) und das äußerst unterhaltsame Indien-Roadmovie Darjeeling Limited (2007). Die Kindheit als Quell neurotischer Persönlichkeitsentwicklungen spielte im Anderson-Universum immer eine gewichtige Nebenrolle. In Moonrise Kingdom widmet er sich nun voll und ganz dieser Welt und zeigt, wie die naive Beharrlichkeit, mit der die beiden Kinder ihre Liebe verteidigen, die Erwachsenen zunehmend den eigenen emotionalen Boden unter den Füßen wegzieht. Die beiden Kinderdarsteller Jared Gilman und Kara Hayward tragen den Film mit einer enormen Leinwandpräsenz und einem guten Gespür für Andersons subtilen Zwischentöne. Aber auch die Welt der Erwachsenen ist mit Frances McDormand, Bill Murray, Edward Norton, Bruce Willis sowie furiosen Kurzauftritten von Tilda Swinton als "Das Jugendamt" und Harvey Keitel als Ober-Pfadfinder hervorragend bestückt. Hinzu kommt Anderson detailverliebter, visueller Stil, der auch diesem Film seine ganz eigene Textur verleiht. Dabei beschränkt sich der Film mit seiner in den sechziger Jahren angesiedelten Geschichte nicht auf den üblichen Retro-Chic, sondern verbindet idyllische Landschaftsaufnahmen mit einer Fülle von originellen Farbkompositionen. Allein aus den Mustern von Hosen, Röcken, Vorhängen, Bettdecken und Sofabezügen könnte man eine eigene Ausstellung bestreiten. In den ausstatterischen Details, der sanft mäandernden Dramaturgie, der Charakterisierung der eigenwilligen Figuren zeigt sich eine künstlerische Kreativität und Liebe zum Filmemachen, wie man sie nur selten im Kino erleben kann. Martin Schwickert USA 2011 R: Wes Anderson B: Wes Anderson, Roman Coppola K: Robert Yeoman D: Jared Gilman, Kara Hayward, Bruce Willis
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