Montana Sacra Böse Welt Alexandro Jodorowskys Eso-Klassiker in Wiederaufführung Die Wiederbegegnung mit diesem zornigen Stück Weltverbesserungskino aus dem Jahr 1973 erzählt eine Menge darüber, wie weit wir inzwischen gekommen sind. Zum Beispiel ist die erste halbe Stunde des Films politisch vollkommen inkorrekt, geschmacklos und völlig undifferenziert. Nackte kleine Jungs laufen durchs Bild, es wird geschändet und gemordet, es werden Tiere missbraucht, und in den Straßen fließt das Blut. Montana Sacra beginnt mit einer Bestandsaufnahme, in der das Massakrieren von Demonstranten ein Anlass zur Empörung ist (und nicht die korrekte Berichterstattung darüber). Die Kamera fährt an Leichenbergen vorbei, die von mit Handkameras ausgestatteten, geil herumhüpfen Touristen begierig gefilmt werden. Einer Tourist filmt gar hocherfreut, wie seine Frau von einem Soldaten vergewaltigt wird; die Frau hat ihren Spaß dabei. Durch dieses Szenario der ausgewählten Geschmacklosigkeiten läuft ein Dieb, der sich für das Vergnügen der Touristen als Jesus präsentiert und ein Kreuz durch die Straßen schleift. Wir sehen die Eroberung Mexikos, nachgestellt in einem Inkaareal aus Pappmaché, das von Leguanen in Inkakostümen bewohnt wird. Schließlich fallen hässliche fette Kröten, liebevoll in kleine Mönchskutten eingenäht, gemeinsam mit in Rüstungen gesteckten Fröschen über die Leguane her. Am Ende wird alles einfach gesprengt und die Jahrmarktzuschauer lachen. Die Szene ist heute Kinogeschichte. Nach etwa einer halben Stunde kommt dieser Film etwas zur Ruhe und biegt in jenen Eso-Schwurbel ein, mit dem sich Jodorowsky als Regisseur und Comicautor lebenslang herumschlug. Der Dieb klettert einen großen roten Turm hoch, trifft dort auf einen weisen Mann (Jodorowsky himself) und wird sich fortan auf die Reise machen zum "heiligen Berg", wo Erfüllung und Unsterblickeit auf ihn warten. Die Reise tritt er mit sieben anderen Sinnsuchern an, Waffenhändler und andere Gauner sind darunter. Dass der erste Teil mit dem Rest des Films nicht zusammengeht, kann uns egal sein. Wer sehen will, wie man den Zorn über den Zustand der Welt im Kino in Bilder packen kann, die jenseits aller Empfindlichkeiten direkt ins Herz und Hirn gehen, wird keinen besseren Film finden. Jodorowskys Problem und das seines Debutfilms ist denn auch immer gewesen, dass das Eso-Eiapopeia, das ihm eigentlich wichtig war, gegen den starken Anfangseindruck einfach nicht anstinken kann. Zwar findet er durchaus erlesene Tableaus und durchaus atemberaubende Sets, um seine Vorstellung von Ego-Auflösung, Alchemie und Sinn des Lebens darzustellen, aber all das verblasst vor den Bildern von wütenden Krüppeln, kichernden Huren, einem rasenden Jesus - und eben den Leichenbergen, die in den Straßen liegen. In unserer politisch korrekten Zeit kann und wird man sich heute über vorgeblich rassistische Untertöne, vorgebliche Anleitung zur Pädophilie, echte Tierquälerei und jede Menge Blasphemie in Montana Sacra erregen. Schon das rechtfertig die Wiederaufführung dieses schrägen Meisterwerks des politischen Kinos. 40 Jahre nach der Uraufführung ist die Welt nicht besser geworden. Man darf im Kino nur nicht mehr so viel davon zeigen. Thomas Friedrich Mex./USA 1973 R & B & Design: Alexandro Jodorowsky K: Rafael Corkidi D: Alexandro Jodorowsky, Horacio Salinas, Zamira Saunders. 114 Min.
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