»VERFÜHRERISCHER MOND«

Silk Cut

Gong Li ist die Erbin von Björndahl - Ein chinesisches Heimat-Psycho-Drama

Es fängt schon damit an, daß am Anfang der Vater fehlt. Nur seine Stimme weht über das rätselhaft lächelnde Mädel - und Rauch aus der traditionellen Opium-Pfeife. "Das ist kein Fluch, das ist das Glück".
Dann fällt auch noch der kindliche Kaiser weg, Pu Yi, dessen Abdankung 1911 uns Bertolucci so opulent gezeigt hat. Chen Kaige ( Lebewohl, meine Konkubine ) handelt die große Politik in Schrifttafeln ab, und zeigt uns drei andere Kinder zur gleichen Zeit: ein Mädchen, das frech in der Ahnenhalle des Familienpalastes Verstecken spielt - zwei Jungen in unklaren Verwandschaftsverhältnissen, die sich nach dem Ende des alten Reiches in Richtung Tradition und Fortschritt verlaufen.
So wie Peking (Kultur und Revolution) und Shanghai (Industrie und Verbrechen), jedenfalls von Hongkong aus gesehen, wo Chen Kaige seinen Film im letzten freien Jahr fertigstellte, nachdem die chinesischen Behörden ihm ideologische Löcher ins Drehbuch zensierten. Und wo Gong Li, Weltstar mit den schmalen Einkünften einer staatlichen Kulturarbeiterin, ihr Privatkonto mit Werbespots überfüllt hat.
20 Jahre danach wird das Mädchen eine atemberaubend schöne, opiumabhängige Frau - und Familienoberhaupt anstelle ihres älteren Bruders, der nach einem Rauch-Unfall nur noch ein Zombie ist. Ihr fortgelaufener Jugendfreund (Leslie Cheung) hatte irgendwas damit zu tun, und das hat ihn so verändert, daß er statt ein Intellektueller in Peking nur gigoloser Heiratsschwindler in Shanghai wurde. Als solcher soll er nun, im Auftrag eines Gangsterbosses, das ländliche Vermögen abgreifen, verliebt sich aber in das Opfer, bringt ihr Fahrradfahren in der verstaubten Ahnenhalle von damals bei (solche Szenen zerdehnen das elliptische Drama zur Schwerelosigkeit) - und tut am Ende klassisch rächend auch ihr Arsen in die Pfeife.
Während der traditionellere zurückgebliebene Jugendfreund sich bei einem Ausflug in die große Stadt einen modernen Mittelscheitel zulegt, zudringlich wird (in unscharfen Standbildern angedeutetet - Chen Kaige liebt das formale Experiment genauso wie das schwebende Tableau) und den Vorsitz der ruinierten Familie übernimmt.
Alle haben verloren - und das Publikum ist verloren; zwischen hochsymbolischen Szenenfragmenten, jahrzehntebreiten Auslassungen, minutenlangen Großaufnahmen, Edelkitsch und ernstester Ergreifung. Und mitten aus Gähnen und/oder Stirnrunzeln gerissen von der fliegenden Kamera des Westlers Chris Doyle, glatt (wegen Steadycam) und rauh zugleich. Wie Seide.

WING