MITTSOMMERNACHTSTANGO

Tanz der Herzen

Viviane Blumenschein entdeckt den Tango neu

Von einer ungeheuerlichen Geschichtsfälschung berichtet der berühmte Professor Kaurismäki gleich nach dem Vorspann: nicht nämlich stamme der Tango, der "traurige Gedanke, den man tanzen kann", aus seiner heutigen Welthauptstadt Buenos Aires. Nicht mal allgemein südamerikanische Wurzeln habe das melancholische Aneinanderlehnen und Beinekreuzen, Vielmehr hätten verarmte Fischer an der finnischen Ostküste Anfang des letzten Jahrhunderts ihr karges Leben durch Wiegeschritt und weinendes Akkordeon bereichert. Mit verdingten Matrosen ging der finnische Tanz dann schwankend um die Welt, kriegte in Kuba einen afrikanischen Dreh und wurde in den multikulturell pulsierenden Großstädten Uruguays und Argentiniens dann frech zur Nationalkultur entführt.

Was von der Theorie zu halten ist, erklärt sich sofort, wenn Aki Kaurismäki, vor allem Europäern eher als Filmemacher mit seltsamem Musikgeschmack bekannt, gleich anschließend ausführt, das womöglich noch größere Verbrechen sei gewesen, wie dermaleinst die Österreicher den Finnen ihren Walzer weg nahmen.

Und schon springen wir nach Buenos Aires und beobachten verschiedene Tangoistas bei ihrer Leidenschaft für festliche Kleidung, traurigen Gesang und komplizierte Bewegungen bei ihren aufrecht stehenden Beziehungsdramen. Der junge Gitarrist Diego Kvitko, der ältere Sänger Walter Laborde und Pablo Greco am Bandoneon führen uns durch die bunte Welt ihres Tangos. Und enden in einem Taxi mit einem finnischen Fahrer.

Natürlich ist die Dokumentation komplett erfunden, aber die Band ist echt , und das lustige Streitgespräch über "Wer hat's erfunden" leitet zwanglos über zu einer Reise der Südamerikaner ans andere Ende der Welt.

Dort trifft das Trio on the road verschiedene Vertreter der einheimischen Tango-Szene und wundert sich gar sehr über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Geschickt zeigt die Regisseurin uns ihr Finnland-Bild durch die Augen der Gäste. So vermeidet sie das Dozieren über Dur (Argentinien) und Moll (Finnland), Sex und Satire, Perfektion und Paartanzbelustigung. Und immer wieder unterbrechen Bilder der majestätischen Weite und Ruhe finnischer Landschaften die Szenen.

Hier oben und draußen muss ein Tango ja anders klingen als im wuseligen Buenos Aires. Beim Volksfest auf dem Dorfe klingen selbst die absteigendsten Moll-Melodien noch nach Schunkeln, während Diego, Walter und Pablo zuhause ihre aufsteigenden Dur-Kadenzen eher als Behauptung der Persönlichkeit intonieren.

Direkt aus der Seele kommen aber beide Tangos. Das geben sowohl die maulfaulen Finnen bald zu, die anfangs ein bisschen Angst vor den stolzierenden, temperamentvollen Südländern haben. Als auch die aushäusigen Gäste, die schließlich sogar Unterricht bei einer finnischen Gesangslehrerin nehmen.

So kommt ein leicht schräges Porträt eines Culture Clashs zusammen, bei dem selbst der Hartherzigste den Fuß nicht am Wippen hindern kann.

Wing

D 2013. R + B: Viviane Blumenschein K: Björn Knechtel D: Walter "Chino" Laborde, Diego Kvitko, Pablo Greco, Aki Kaurismäki, Karl Antero Lindquist, Sanna Pietiäinen. 82 Min.