MITTEN IM STURM Das kalte Herzchen Marleen Gorris erzählt eine fast wahre Gulag-Romanze Hauptsächlich mit Frauen-Filmen hat sich die niederländische Regisseurin Marleen Gorris internationalen Ruhm erworben. Deshalb war sie wohl die naheliegende Wahl, um aus der Biografie Eugenia Ginzburgs den ersten internationalen Film über das System der sowjetischen Gulags zu machen. Und so lange Eugenia noch als Literaturprofessorin in der Sowjetunion arbeitet, ist sie bei ihrer Regisseurin und bei Emily Watson als Darstellerin gut aufgehoben. Begeistert von russischer Literatur bringt sie jungen Partei-Studenten Bildung und Gefühl bei, nett kümmert sie sich um Ehemann und zwei Kinder und die Sorgen ihrer Mitmenschen. Völlig verständnislos steht sie dem Apparat gegenüber, der überall Abweichler jagt. Irgendwie gerät sie in die Mühlen aus Ledermänteln, starren Blicken, Denunzianten und Karriereschweinen, unnachgiebig zieht sich der Himmel zu, aber Eugenia weigert sich, Mitverschwörer zu verpfeifen, weil es doch gar keine Verschwörung gebe. Wegen solcher Verstocktheit wird sie zu 10 Jahren Arbeitslager in Sibirien verurteilt, und nun könnte ihre Welt so richtig zusammenbrechen. Marleen Gorris aber findet vom Viehwagen auf dem Transport bis zur Hungerprostitution im Gulag ständig menschliche Bilder und Szenen. Es ist bestimmt nicht angenehm dort draußen, wo Intellektuelle mit normalen Kriminellen zusammen gesperrt werden, wo die Wachmannschaften wochenends die Frauen-Barracke zum Beischlaf heimsuchen und für ein Stück Brot jede alles tut. Aber muss es denn ein so operettenhaftes Elend sein, wo die Damen sich gegenseitig die Haare machen und Eugenia große Gedichte aus dem Gedächtnis vorträgt? Einmal immerhin darf die duldsame Frau so richtig böse werden, als sie ihren Ankläger von früher trifft, der jetzt selbst inhaftiert ist. Da fällt ihr kein Gedicht zu ein. Dann lernt sie auch noch den Lagerarzt kennen, einen eigentlich ebenfalls inhaftierten Deutschen, der seine Kenntnisse für Feind und Freund einsetzt und eine Insel brüchiger Menschlichkeit im ewigen Winter Sibiriens schafft. Hach, das wird eine Romanze und fast ein Konflikt. Darf man mit dem System kollaborieren, wenn man anders nicht an Verbandsmaterial kommt? Darüber streiten sich die beiden. Darf man ein bisschen glücklich sein, wenn rings herum der Stalinismus wütet? Und darf so eine Geschichte eigentlich gut ausgehen? Solche Fragen stellten sich Marleen Gorris und ihre Drehbuchautorin offensichtlich nicht. So wird aus einer aufrüttelnd gemeinten Anklage gegen ein Unrechtssystem ein Dr. Schiwago-Wintermärchen von der tapferen Frau, die ihr Herz nicht verlor. Als Samisdat-Literatur war das in der Sowjetunion, wo Eugenia seit 1955 rehabilitiert arbeitete, ein wichtiges Buch. Wing Within The Whirlwind. D,B,F,P 2009. R: Marleen Gorris B: Nancy Larsen K: Arkadiusz Tomiak D: Emily Watson, Ulrich Tukur, Lena Stolze, Ian Hart
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