»MITTERNACHT IM GARTEN VON GUT UND BÖSE« Tim & Struppi
Clint Eastwood macht schon wieder Kunst Der Filmtitel ist leider keine Metapher, sondern ziemlich wörtlich zu nehmen: in der Mitte des Films stehen Kevin Spacey und John Cusack mit einer alten, fette Voodoo-Hexe auf dem Friedhof, um kurz vor Mitternacht das Gute und direkt danach das Böse heraufzubeschwören (dafür braucht's übrigens zwei Silbermünzen, ein Viertelliter Wasser und viel Fusel für die Hexe). Als archaisches Ritual hat das seinen touristischen Reiz. Als ernstgemeinete Weisheit ist es albern. Das Presseheft und die Reiseführer schwärmen von der schläfrigen Schönheit des Südstaaten-Städtchens Savannah, wo historische Prachtbauten, üppig bepflanzte Stadtparks und ein schwüler Voodoo-Flair ein derart ruhiges und behäbiges Leben erzwingen, daß der New Yorker Reporter John Kelso (John Cusack) sich nachts im Hotel eine Kassette mit Verkehrslärm in den Rekorder schiebt; er kann sonst nicht schlafen. Kelso ist in die Stadt gekommen, um ein 50 Zeilen-Essay über den jährlichen Höhepunkt von Savannah zu verfassen: Die Weihnachtsparty bei Mr. Jim Williams (Kevin Spacey), dem neureichen Kunstsammler. Der kennt Gott und die Welt und alle Senatoren, ist freigiebig, charmant, geheimnisvoll und Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens, daß in Savannah so aussieht, als sei die Zeit um 1850 stehengeblieben. Weil irgendwas passieren muß (schließlich dauert der Film 150 Minuten), erschießt Mr. Williams nach der Weihnachtsparty einen jungen Mann, mit dem er, wir ahnten es, ein Verhältnis hatte. Jetzt bleibt der Reporter, der eigentlich ein Schriftsteller ist, natürlich in der Stadt, um über die Tat und das Gerichtsverfahren ein Buch zu schreiben; von allen abgelutschten Ideen für eine Handlungskontruktion ist dies so ziemlich die erbärmlichste (der Roman von John Berendt, auf dem der Film beruht, war in den Staaten trotzdem ein Hit). Fortan zieht Kelso durch die Stadt, trifft Leute, hört ihren Klatsch und Tratsch, bestaunt ihre sanft verrückte Lebensart, lernt ein Mädel kennen, kommt der Wahrheit auf die Spur - und bleibt am Ende in der Stadt, weil ihm das Mädel und überhaupt alles so gut gefällt. Ernsthaft. Über die Atmosphäre, diese seltsame Müdigkeit, die über der Stadt liegt, könnte man wahrscheinlich mühelos einen Vier Stunden-Essay drehen. Aber auch hier versagt Eastwoods Film. Wie im Reiseführer werden Stationen abgearbeitet, Architektur, Mode und Feeling rutschen quasi mal eben durchs Bild, um dagewesen und benannt worden zu sein. Nur in der Anfangs- und Endsequenz wird, wie in allen Eastwood-Filmen, eine lange Fahrt über die Stadt eingesetzt, um den Handlungsraum einzugrenzen. Ansonsten klebt die Kamera in der berühmten "amerikanischen" Einstellung an ihren Helden. Und wenn ein Bild beinahe einmal wirken könnte, hebt ein Schnitt alles wieder auf. Das ist insofern arg erstaunlich, als Eastwood mit altbewährten Kollegen gearbeitet hat: die Kamera bediente Jack N. Green, der für Eastwoods Unforgiven einen "Oscar" erhielt, den Schnitt machte Joel Cox, der fast alle Eastwood-Filme bearbeitet hat. Die Schauspieler sind, soweit man aus solchen Rollen etwas 'rausholen kann, von erlesener Güte, auch Eastwoods Tochter Allison kann in dem starken Ensemble locker mithalten. Als Regisseur und Literatur-Verfilmer (was man so nennt; auch Die Brücken am Fluß ist nicht mehr gewesen als Danielle Steel auf Motivsuche) scheint Eastwood zunehmend unter Kunstzwang zu stehen. Und Kunstwille im Kino bedeutet meistens: mit großen Gesten nichts sagen. Anders ausgedrückt: Eastwood dreht inzwischen entsetzlich europäische Filme. Mitternacht im Garten von Gut und Böse ist ein unentschiedener, kein distanzierter Film. Seine Geschichte, seine Figuren und seine Erzählweise bewegen sich auf Comic-Niveau (tatsächlich kam mir mehrmals während der Vorstellung eine "Tim und Struppi"-Assoziation hochgekrochen; bei der ersten Einstellung etwa - alte Voodoo-Hexe auf der Parkbank sieht über sich in Flugzeug einschweben, und wir wissen, daß das was zu bedeuten hat; oder dem idyllischen Hundeausführen am Ende; das sieht aus wie von Hergé). Er behauptet mehr, als er zeigt. Sein Humor ist kindisch, manchmal spießig. Alle Handlungen haben keine Konsequenzen, ein übermächtiges Schicksal regelt den Ausgleich von Gut und Böse. Und wenn die Figuren miteinander reden, haben sie nichts zu sagen: "Sie erkennen das Bild?" - "Mein Vater war Kunsthändler!" - "Respekt, Sportsfreund!" - ja wer redet denn so? Und den fürchterlichsten aller fürchterlichen Gedanken, daß uns hier nämlich jemand die platte Wahrheit sagen will, daß Schwule und Transvestiten Menschen wie du und ich... aber den denken wir gar nicht erst weiter.
Thomas Friedrich
Es gibt starke Indizien, daß der Film nicht der ist, den Eastwood gedreht hat. Aber das wird erst später zu klären sein.
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