»MIT ALLER MACHT« Hat er oder nicht?
Der Film zum Wahlkampf: John Travolta als Bill Clinton Als 1996 der Roman Primary Colors erschien, schwitzte man in der Clinton-Administration Blut und Wasser. Satirisch überhöht, doch kaum verschleiert berichtete hier ein anonymer Autor über Clintons Präsidentschaftswahlkampf von 1992 auf derart intime Weise, daß man schon nach dem Verräter im Insider-Kreis zu fahnden begann. Später wurde beruhigenderweise der Newsweek-Kolumnist Joe Klein als Autor enttarnt. Der Roman war inzwischen ein Bestseller, und Regisseur Mike Nichols sicherte sich mit 1,5 Millionen Dollar aus seinem Privatvermögen die Filmrechte. Bill Clinton heißt hier Jack Stanton und wird gespielt von John Travolta. Der Südstaaten-Gouverneur gilt als Außenseiter im demokratischen Kandidaten-Wahlkampf. Im Film lernen wir ihn durch die Augen eines idealistischen jungen Mannes kennen. Henry Burton (Adrian Lester), Enkel eines berühmten schwarzen Bürgerrechtlers, begegnet Stanton im Gespräch mit einfachen Arbeitern. Nach anfänglicher Skepsis läßt er sich von Stantons politischer und menschlicher Integrität überzeugen und wird im Handumdrehen zum Wahlkampfmanager des unorthodoxen Kandidaten. Mit chaotischem Elan geht das Team an die Arbeit. Mit zunehmenden Erfolg setzen die Schmutzkampagnen gegen Stanton ein, der eine deutliche Neigung zu "unangemessenen Beziehungen" hat. Eine Friseuse behauptet, eine ehebrecherische Affäre mit dem Präsidentschaftskandidaten gehabt zu haben. Kaum haben sich die Tonbanddokumente als Fälschung erwiesen, ist die Tochter eines langjährigen Freundes angeblich von Stanton schwanger. Damit nicht genug, bekommt der Gegenkandidat ein Herzinfarkt, und sein Nachfolger Freddy Picker (Larry Hagman) macht durch seinen sachlichen Saubermann-Stil eine gute Figur. Da stellt sich die Gewissensfrage, ob man nun selbst im Privatleben des Konkurrenten nach dunklen Flecken suchen soll. Anders als Wag The Dog , ruht sich Mit aller Macht nicht auf seiner Grundidee aus, sondern baut immer wieder neue Fragestellungen und moralische Fallgruben auf. Regisseur Nichols konzentriert sich dabei glücklicherweise nicht nur auf seine Hauptfigur. Mit aller Macht ist ein Ensemblefilm, in dem neben John Travolta als charismatisch-undurchsichtiger Kandidat und Weiberheld, vor allem Emma Thompson als intelligente, pragmatische Politikergattin, Kathy Barnes als exzentrische lesbische Trouble-Shooterin und Billy Bob Thornton ( Sling Blade ) als eigenwilliger Polit-Stratege im Wahlkampf Federn lassen müssen. Die Kamera von Michael Ballhaus setzt die politischen Turbulenzen mit gewohnter Eleganz ins Bild. Politik ist ein schmutziges Geschäft und Wahlkampf das allerschmutzigste. Mit aller Macht ist nicht nur ein Lehrstück über den Verfall der Moral im Kreise der Macht. Vielmehr stellt der Film die Überprüfbarkeit menschlicher Integrität im Dschungel von politischen Strategien, Intrigen und Medienhysterie grundsätzlich in Zweifel. Die Frage "Hat er oder hat er nicht?", wird in Nichols Film nicht geklärt. Aktuelle Umfragen deuten an, daß die amerikanische Öffentlichkeit nun nach Bills wohlformulierten Grand-Jury-Geständnis lernt, zwischen der Politik und dem Privatleben ihres Präsidenten zu unterscheiden. Als desillusionierende Bestandsaufnahme könnte Mit aller Macht diesen schmerzhaften Lernprozess unterstützen.
Martin Schwickert
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