Missverstanden

Pippi Hardcore

Asia Argentos Beobachtungen eines kleinen Mädchens

Vor genau 10 Jahren hat Asia Argento, die Tochter des großen italienischen Horrorfilmers Dario Argento, einen ziemlich bösen Kinderfilm gedreht. Der hieß The Heart Is Deceitful Above All Things, war eine Literaturverfilmung und handelte von einem kleinen Jungen, dessen bekloppte Mutter (Asia Argento) ihm das Leben zur Hölle macht.

2014 handelt Missverstanden von einem kleinen Mädchen, dessen bekloppte Mutter (Charlotte Gainsbourg) ihm das Leben zur Hölle macht. Das Mädchen heißt Aria, am Drehbuch hat Asia Argento mitgeschrieben.

Die Frage, wieviel Autobiografisches in dieser Geschichte einer Göre steckt, deren Vater ein berühmter Filmschauspieler ist und deren Eltern sich fortwährend in den Haaren liegen ("Hure!" - "Hahnrei!"), gehört zu den spannenden Untertönen dieses urkomischen Dramas, das vor allem von der überwältigenden Präsenz der jungen Darstellerin Giulia Salerno und einem verschmitzten Drehbuch lebt, das in vielen Episoden Leben und Leiden eines präpubertierenden Mädchens schildert, umzingelt von einer absolut abscheulichen Erwachsenenwelt.

Die melodramatische Mama, deren Liebhaber im Verlauf der Geschichte immer jünger werden, und der krankhaft abergläubische Papa, der sich mit seiner langsam verfettenden ältesten Tochter aus erster Ehe in eine Wohnung zurückzieht, stellen nur einen Teil des Problems dar. Denn da sind ja noch die Lehrer, Nachbarn, Pförtner ... die Klassenkameraden sind auch eher fürchterlich.

Hier wünschen sich kleine Mädchen keine Ponys, hier spielen sie mit Ken und Barbie Vergewaltigung. Aria muss einen Selbstmordversuch vortäuschen, um Papas Aufmerksamkeit zu erlangen ("Aria, mein Schatz, bleib bei mir ... wie viel von den Tabletten hast du genommen?" - "Ach ... zwei!"), der sie danach wenigstens zum Konzert einer Popgruppe mitnimmt.

Anders als der Junge in The Heart..." befreit sich Aria allerdings sehr schnell aus ihrer Opferrolle. Sie beobachtet, zieht Schlüsse, und wenn gar nichts mehr geht, organisiert sie schon mal die Verhaftung ihrer Eltern wegen Drogenbesitzes.

Dafür wird sie natürlich vor die Tür gesetzt. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist die kleine Aria, die durchs sommerliche Rom marschiert, ihre Tasche auf dem Rücken und die zu große Katzentransportkiste in der Hand.

So wandert sie immer wieder zwischen den Wohnungen von Papa und Mama hin und her, übernachtet auf der Straße und findet sich irgendwann ein im Unbehausten. Selbst wenn sie im Gebüsch am Straßenrand übernachtet, legt sie brav ihre Zahnspange an und schläft dann ganz ruhig, Kräfte sammelnd für den nächsten Tag und den nächsten Kampf mit den Erwachsenen; Pippi hardcore.

Stilistisch bleibt sich Argento dabei treu und pflegt weiter ihren Stil (roher Schnitt, wacklige Kamera und komplizierte Bildausschnitte), der keinesfalls störend wirkt, da er sich dem Bildanlass anpasst. Missverstanden ist kein Kinderfilm für Erwachsene, eher umgekehrt. Die Sympathien des Films ruhen ausschließlich auf den dürren Schultern von Giulia Salerno, die sich durch diesen Film lacht und prügelt und weint und raucht und kotzt und lacht und schimpft und weint. Und die manchmal die Erwachsenen sehr lange und sehr ruhig anschaut, ohne ein Wort zu sagen. Und sich umdreht und ihr Ding macht.

Thomas Friedrich

Incompresa I 2014 R: Asia Argento B: Asia Argento, Barbara Alberti K: Nicola Pecorini D: Giulia Salerno, Charlotte Gainsbourg, Gabriel Garko, 96 Min.