»MUSIC OF THE HEART« Vergeigt
Wes Craven schlachtet Gefühle aus Wer Horror-Regisseure bisher für unbelehrbare Perverslinge hielt, wird derzeit eines besseren belehrt. Vor kurzem erst schickte David Lynch in Straight Story den grundgütigen Rasenmähermann Alvin auf familiäre Versöhnungsreise, jetzt bittet Horror-Rehabilitand Wes Craven ( Scream ) mit seinem Schmachtfetzen Music of the Heart um Vergebung. Wie Lynch ließ sich auch Metzgermeister Craven von einer "wahren Geschichte" inspirieren. Hollywood liebt so etwas, denn das echte Leben kann immer noch glaubwürdiger lügen als jedes Script-Department. Als klassisches Wiederauferstehungsdrama erzählt Music of the Heart von einer tapferen Amerikanerin, die ihr Leben noch einmal in die Hand nimmt und in die Welt zieht, um Gutes zu vollbringen. Als Frau eines Navy-Offiziers hat die begabte Violinisten Roberta Guaspari (Meryl Streep) eigene Träume und Wünsche stets dem Familienleben untergeordnet. Als ihr Mann sie verlässt, steht für die Hausfrau und Mutter zweier Söhne die Wiedereingliederung ins Berufsleben an. Es verschlägt sie nach East Harlem, wo Roberta eigeninitiativ an einer Schule den benachteiligten Kindern das Geigenspiel nahebringt. Mit ihrer gesunden didaktischen Mischung aus Gefühl und Härte erobert sie die Herzen der coolsten Hip-Hop-Kids, und aus der Schnapsidee etabliert sich bald ein schulübergreifendes Programm. Nach zehn Jahren musikalischer Sozialarbeit soll dem Projekt jedoch die staatliche Unterstützung gestrichen werden. Lehrer, Schüler und Eltern beginnen eine Rettungskampagne. Orgiastischer Höhepunkt wird ein Benefiz-Konzert in der Carnegie Hall, wo Harlemer Geigenschüler Seite an Seite mit den bekanntesten Violinisten der Welt vor einem frenetisch applaudierenden Publikum ihr Bestes geben. Ebenso entschlossen, wie Wes Craven in seinem Horrorwerk bisher das Nervenkostüm der Zuschauer attackierte, nimmt er nun die Tränendrüsen des Publikums in Angriff. Ob Nightmare on Elm Street oder Music of the Heart - Wes Craven macht Kino für die primären Instinkte. Dabei beherrscht er die Klaviatur der Angst genauso gut wie den Katechismus der Rührseeligkeit. Im ausgeklügelten Rhythmus branden die Wogen des Gefühls heran und fluten die Augen des Publikums. Freud und Leid der Geigenlehrerin wechseln sich taktvoll ab, wobei Craven vor keiner noch so sentimentalen Schandtat zurückschreckt. Der tägliche Kampf einer alleinerziehenden Mutter und die soziale Realität East Harlems bieten ein unerschöpfliches Reservoir an herzzerreißenden Querverweisen. Meryl Streep spielt die tapfere Roberta zwar mit Lockenwicklern, Strickjacke und solider Zurückhaltung. Gegen sehnsüchtige Kinderaugen und bebende Orchestergräben bleibt sie allerdings machtlos. Music of the Heart verdanken wir einem Produzenten-Deal. Um Craven, der eigentlich mal was anderes als Schlitzerfilme machen wollte, für drei Scream -Folgen zu gewinnen, hat die Produktionsfirma das Skript von Music of the Heart oben draufgepackt. In Hollywood geht's eben auch nicht anders zu, als auf dem Hamburger Fischmarkt.
Martin Schwickert
|