SÜSSES GIFT

Toxische Versuchung

Claude Chabrol beobachtet die Bourgeoisie

Mit kühler Weitsicht regiert die Millionenerbin Marie-Claire Muller (Isabelle Huppert) die väterliche Schokoladenfabrik im schweizerischen Lausanne und hält auch in ihrer Familie alle Fäden in der Hand. Vor kurzem erst hat sie den begnadeten Pianisten Polonski (Jacques Dutronc) geheiratet, nachdem dessen Frau bei einem Autounfall ums Leben kam. Dann steht auf einmal die junge Jeanne (Anna Mouglalis) mit einer Verwechslungsgeschichte vor der Tür. Nach ihrer Geburt habe man sie im Krankenhaus für kurze Zeit mit Polonskis Sohn vertauscht. Polonski erinnert sich, dass der Irrtum damals bald aufgeklärt wurde. Trotzdem ist der Zweifel gesät. Immerhin ist Jeanne wie ihr Nicht-Vater eine begeisterte Pianistin, während Sohn Guillaume (Rodolphe Pauly) sich lieber am Game-Boy vergnügt. Als Klavierschülerin wird Jeanne in den Haushalt integriert und bringt das eingefahrene Familienleben unmerklich aus der Balance. Der introvertierte Musiker blüht während des Unterrichtes sichtlich auf, Guillaume zieht sich schmollend auf sein Zimmer zurück, und Marie-Claire kämpft gegen den Verlust der Kontrolle an. Tagtäglich serviert sie heiße Schokolade nach persönlichem Geheimrezept, in der sich auch immer ein wenig von jenem Schlafmittel befindet, das man im Blut ihrer verstorbenen Vorgängerin gefunden hat. Mit dem Gift im Kakao hält sie die Familie gefügig und es scheint an der Zeit zu sein, die Dosis zu erhöhen.

Die zuckersüßen Versuchungen der Bourgeoisie und ihre toxischen Auswirkungen - im Grunde geht es in Claude Chabrols Filmen eigentlich schon immer um das Gift, mit dem die Schokolade versetzt wird. Vor der Kulisse des Genfer Sees in der französischen Schweiz - dort wo sich das Großbürgertum in Sicherheit wiegt - entwirft Chabrol seine elegante Demontage. Die Kriminalhandlung ist hier wie so oft nur Vorwand für die scharf geschnittenen Charakterstudien. Betont beiläufig sät Chabrol die Widersprüche zwischen den Figuren aus und spinnt daraus ein kühl temperiertes Familiendrama, das vor allem von den schauspielerischen Leistungen lebt. Isabelle Huppert gewährt tiefe Einblicke in das kalte Herz ihrer Figur, während Jacques Dutronc den verhuschten Pianisten langsam ins irdische Leben zurückbringt. Chabrols 52. Film: kein Meisterwerk, aber auf jeden Fall ein gepflegtes Kinovergnügen.

Martin Schwickert

Merci Pour Le Chocolat F 2000 R: Claude Chabrol B: Claude Chabrol, Caroline Eliacheff K: Renato Berta D: Isabelle Huppert, Jacques Dutronc, Anna Mouglalis