MELINDA UND MELINDA

Zartbitter
Woody Allen erzählt eine Geschichte zweimal

Ob das Leben besser als Tragödie oder Komödie beschrieben werden kann, darüber haben sich schon die alten Griechen den Kopf zerbrochen. In Woody Allens neuem Film nimmt eine redselige New Yorker Restaurantrunde aus Theaterautoren und Schauspielern den alten Disput wieder auf. Die Anekdote einer etwas derangierten Frau, die in eine Diner-Party hineinplatzt und das Leben der Beteiligten durcheinander wirft, ist der Ausgangspunkt für je eine lustige und eine tragische Geschichte, die am Tisch miteinander konkurrierend zusammengesponnen werden. Gemeinsam ist beiden Melinda, die von Radha Mitchell mal als suizidgefährdeter Eindringling, mal als flatterhafte Männerkopfverdreherin gespielt wird. Beide Melindas haben eine gescheiterte Ehe und einen hässlichen Sorgerechtsprozess hinter sich und versuchen nun in New York neu Fuß zu fassen. In der tragischen Version sind es die alten College-Freunde, der halberfolgreiche Schauspieler Lee (Jonny Lee Miller) und seine wohlhabende Lebensgefährtin Laurel (Chloe Sevigny), die die psychiatrieerfahrene Schulfreundin widerwillig bei sich aufnehmen. In der Komödienversion bringt Melinda als attraktive Nachbarin die ehelichen Machtverhältnisse zwischen dem frustrierten Werbeclip-Sprecher Hobie (Will Ferrell) und der aufstrebenden Regisseurin Susan (Amanda Peet) durcheinander. In beiden Versionen dreht sich das Liebeskarussell mehrfach um die eigene Achse, wird ein vierhändiges Klavierspiel die Handlung entscheidend vorantreiben und Melinda zum Unsicherheitsfaktor im eingefahrenen Beziehungsgeflecht.
Nach den etwas enttäuschenden Jahresproduktionen von 2002 (Hollywood Ending) und 2003 (Anything Else) findet Woody Allen in seinem 35. Film wieder zur alten Form zurück. Mit Großstadtneurotikern kennt er sich bekanntlich aus, auch wenn seine geschliffenen Dialogpassagen, die einen schon seit langer Zeit aus dem Kino verbannten altintellektuellen Geist atmen, nicht immer zu den hübsch gelangweilten Gesichtern der jungen Schauspieler passen. Immerhin tun sich Amanda Peet, Chloe Sevigny und Will Ferrell - drei Darsteller, die in Hollywood für die immer gleichen Nebenrollen gecastet werden - unter Allens umsichtiger Regie zu einer sehr unterhaltsamen Ensemblearbeit zusammen. Diesmal fällt Ferrell die Rolle des Woody-Allen-Alter-Egos zu, die in keinem seiner Filme fehlen darf.
Das Doppelte-Lottchen-Konzept leidet allerdings darunter, dass die Tragödie zu lustig ist und damit die versprochenen Kontraste zur Komödienversion fehlen. Allen hat sein Leben lang mit Erfolg nach der Komik im Tragischen gesucht. Aber der satirische Biss, wie er ihn zuletzt in Deconstructing Harry an den Tag legte, hat in Melinda und Melinda einer weitherzigen Altersmilde Platz gemacht.

Martin Schwickert
USA 2004. R&B: Woody Allen K: Vilmos Zsigmond D: Will Ferrell, Jonny Lee Miller, Radha Mitchell, Amanda Peet, Chloe Sevigny