Melancholia

Schlagsahne

Der Film, bei dessen Promotion in Cannes Lars von Trier derbe ins Fettnäpfen trat

Es geht um das tiefwohligtraurige Gefühl der Melancholie, das stets in den klinischen Zustand der Depression umzuschlagen droht, weshalb der Film mit einer achtminütigen, von Wagner-Klängen begleiteten, Slow-Motion-Ouvertüre vom Weltuntergang aufwartet.

Von der kunstvoll surrealen Exposition springt der Film zurück in ein typisches Dogma-Film-Setting. Ein Brautpaar ist hoch vergnügt auf dem Weg zur eigenen Hochzeitsfeier und wird von einer wackeligen Handkamera begleitet. Ähnlich wie in Das Fest dauert es nicht lange, bis hinter der Feierlichkeit die ganze Bandbreite dysfunktionaler Familienbeziehungen aufgefächert wird.

Die Mutter (Charlotte Rampling) ist eine eiskalte Zynikerin, der Vater (John Hurt) ein unzuverlässiger Wirrkopf, Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) ein Kontrollfreak und die Braut selbst von manisch-depressivem Charakter. Innerhalb kürzester Zeit lässt Justine die Hochzeitsfeier implodieren. Als die Torte angeschnitten werden soll, verbarrikadiert sie sich im Bad, dem Bräutigam verweigert sie die Hochzeitsnacht, vernascht stattdessen einen Jüngling auf dem Golfplatz, kündigt ihren gut bezahlten Job in der Werbebranche und bricht schließlich, nachdem sie innerhalb einer Nacht ihr ganzes Leben in Scherben gelegt hat, in sich zusammen.

Dann beginnt der zweite, vollkommen anders temperierte Teil der Erzählung, der Claire ins Zentrum stellt, die sich auf dem hochherrschaftlichen Anwesen um die Pflege ihrer depressiven Schwester kümmert. Größere Sorgen macht Claire jedoch der Planet Melancholia, der aus seinem Versteck hinter der Sonne hervorgekommen ist und sich nun auf die Erde zu bewegt. Claire wird von einer zunehmenden Weltuntergangsangst beherrscht, während ihre Schwester Justine mit wachsender Gelassenheit dem Ende der Welt entgegen sieht. Aber ob die Welt nun untergeht oder nicht, ist nur scheinbar ein Spannungsmoment. Schließlich sind wir bei Lars von Trier und nicht bei Roland Emmerich.

Eigentlich tut Lars von Trier in Melancholia das, was er in fast all seinen Filmen schon immer getan hat: Er legt Frauen auf den Opferaltar. Ob Emily Watson in Breaking the Waves, Björk in Dancer in the Dark oder Nicole Kidman in Dogville - die qualvolle Zerstörung empfindsamer Frauenfiguren gehört bei von Trier zum Geschäft. In Melancholia zieht er gleich die ganze Welt in den Abgrund und lässt im Angesicht der Katastrophe seine depressive Zentralfigur zu einer ungeahnten Größe finden, je näher der fremde Planet auf die Erde zukommt.

"Schlagsahne an Schlagsahne. Ein Frauenfilm! Ich möchte diesen Film abstoßen wie ein Körper ein falsch implantiertes Organ", urteilt der Regisseur in einem Statement über das eigene Werk. Aber das ist - genau wie sein "OK. Ich bin ein Nazi" - wohl auch nur Teil der eigenwilligen Werbestrategie des Filmemachers, der sich auf dem einsamen Pfad narzisstischer Selbstzerstörung am wohlsten fühlt.

Martin Schwickert

Dän./S/F/D 2011 R & B: Lars von Trier K: Manuel Alberto Claro D: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling, John Hurt