MEINE SCHWESTERN

Das bisschen Leben

Lars Kraume dreht einen anrührenden Rückblick

Erledigen wir gleich zu Beginn die möglichen Kalauer: Der mit TV-Tatorten erfahrene Regisseur beginnt seinen Film an einem "Totort", mit der Leiche seiner Hauptperson Linda, die sich im Voice-Over- Kommentar überhaupt nicht überrascht gibt. Sie wurde mit einem schweren Herzfehler geboren, hatte eigentlich keine Überlebenschance und schaffte es dann doch bis in die Dreissiger. Und überhaupt sei nur wichtig, was davor kommt, sagt sie. Und Schwupps sehen wir sie schlafend im Bett, einträchtig mit zwei Schauspielerinnen, die schon mal im Tatort ermittelten. Dann erst kommt der Titel.

Und wir stürzen mit Linda durch ihre letzten Lebenstage. Im Grunde heiter, stellt sie uns ihre Schwestern vor, die auf jeweils eigene Art und Weise damit umgingen, dass ihr mittleres Geschwisterkind nur geliehen war. Die ältere wurde hart und patent, die jüngere besonders schwankend zwischen Übermut und Weinerlichkeit. Beide lieben ihre schwache Linda, die zuweilen erwachsener als beide zusammen wirkt, aber doch zuerst nur widerwillig lassen sie sich auf einem gemeinsamen Kurzurlaub mit ihr ein. Vor einer Herzoperation, von deren Scheitern wir schon wissen, will Linda noch einmal einige ihr wichtige Orte aufsuchen, ein Ferienhaus an der Wattenmeerküste, Verwandte in Paris, die Kirche Sacré Coeur. Vor der aber befinden sich die langen, für Linda längst zu steilen Treppen. Mit gelegentlichen Atemnöten, Ohnmachtsanfällen und einer Narbe auf der Brust bleibt ihr Schicksal und ihre Beschränkung stets präsent.

Der letzte Trip der drei Ausreißerinnen wird weder zum wilden Fluchtversuch noch zur eindimensionalen Entschuldigungs-Tour, bei der die schon halb engelhafte Linda ihre Schwestern für ein Leben nach dem Tode retten würde. Wie absichtslos reihen sich Reibereien und Rücksichtnahmen, schwesterliche Umarmungen und Selbständigkeitsgesten aneinander. Oft aber auch einfach schweigende Blicke, wenn eine den anderen gerade nicht mit ihrer Überforderung zur Last fallen will.

Männer kommen nur sehr am Rande vor. Etwa Lindas Ehemann, dem sie seine neue Geliebte aus ganz unheroischer Nettigkeit gönnt. Oder Lindas Onkel, der in Paris ein lebendiges Haus führt und als deutlichster Todesverweigerer erscheint.

In einem erstaunlichen Kraftakt hat Lars Kraume den ganzen Film streng chronologisch gedreht, was es den drei zentralen Schauspielerinnen und besonders Jördis Triebel als Linda ermöglicht, auch im kleinsten Blick zur Seite wirklich an ihre Gefühlslage von vor ein paar Sekunden anzuschließen. Vielleicht deshalb wirken alle so echt, so lebendig. Mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen, wohl wahr, aber nach diesem Film bleiben das Leben und das Umfangen im Gedächtnis.

Wing

D 2013. R: Lars Kraume B: Esther Bernstorff K: Jens Harant D: Jördis Triebel, Nina Kunzendorf, Lisa Hagmeister. 90 Min