»MATRIX«

Alice 2000

Keanu Reeves folgt dem weißen Kaninchen

Die Frage nach der Authentitizät der Welt beziehungsweise dem, von dem wir glauben, daß es uns umgibt, ist schon etwas älter, und Antworten darauf sind ähnlich verlässlich wie die auf die womöglich noch ältere Frage, was nach dem Tod mit dem Bewußtsein passiert. Falls Körper und Bewußtsein überhaupt existieren. Es könnte doch auch sein, daß die ganze Welt Tomb Raider ist - und du, liebe Leserin, lieber Leser, bist Lara Croft. Die Vorstellung, daß man selbst der Protagonist einer Simulation sei - also eine Art virtueller Solipsismus - ist zumindest gut fürs Ego und mildert unsere Irritation mit der Welt - welcher auch immer.
Auch Thomas Anderson (Keanu Reeves) ist irritiert: in seinem Arbeitsleben als Programmierer und in seiner Freizeit, in der er unter dem Pseudonym Neo hackenderweise vor einer beindruckenden Computerbatterie in seiner ansonsten recht maroden Wohnung hockt. Etwas scheint nicht zu stimmen, was der Zuschauer an den zerrauften Haaren des Helden erkennt, schon bevor sich aus den Tiefen der Netze jemand namens Morpheus meldet, der beunruhigend detailliert über des Helden Leben und seine nähere Zukunft Bescheid weiß. Morpheus will mit Neo reden, und nach einigen Komplikationen, bei denen Neo die Bekanntschaft einiger so allmächtiger wie fieser Herren in Schwarz macht, kommt es zum Treffen. Die Welt sei nicht so, wie es scheine, sagt Morpheus, und er, Neo, könne den ganzen Schlamassel wieder in Ordnung bringen: "You are the one". Er habe die Wahl. Entweder er nehme die blaue Pille, verliere die Erinnerung an das Treffen und könne sein gewohntes Leben fortsetzen, oder er nehme die andere Pille, die rote, und erführe, "how deep the rabbit hole goes". Die Entscheidung sei endgültig. Natürlich nimmt unser Held die rote Pille, deren Wirkung etwas auslöst, was man vielleicht Erwachen nennen könnte. Zuerst kann Neo den Spiegel penetrieren, und dann sehen wir, was dahinter ist.
Andy & Larry Wachowski, die mit ihrem Debut Bound 1996 gezeigt haben, daß sie gleichermaßen filmverrückt wie talentiert sind, gehen nicht so weit, zu sagen, daß die Welt, in der wir jetzt leben, simuliert ist. Ihre virtuelle Welt ist eine Welt, die nur so aussieht, als sei sie westlich & ausgehendes 20. Jahrhundert. In Wirklichkeit handelt es sich um die Zukunft in etwa 200 Jahren: nachdem wirkliche künstliche Intelligenz geschaffen wurde und sich diese künstliche Intelligenz mit den Menschen schwer verkracht und die Kontrolle übernommen hat. Der Konflikt hat die Erde verwüstet und unbewohnbar gemacht, was der künstlichen Intelligenz egal ist. Weil sie aber die Menschen als Lieferanten einer Energie (welcher Art auch immer) benötigt, hat sie die ziemlich leistungsfähige Simulation, die wir aus dem Anfang des Filmes kennen, geschaffen. Die zu beenden, die Menschen zu befreien, ist das Ziel von Morpheus. Zuerst allerdings muß er Neo davon überzeugen, daß der wirklich der Auserwählte ist. Davon handelt Matrix. Von der Überzeugungsarbeit. Und da Bilder aussagekräftiger als Worte sind und neben den Wachowski-Brüdern Krawall-Gigantomane Joel Silver für die Produktion verantwortlich zeichnet, besteht keine Gefahr übertrieben langer Dialoge. Tatsächlich geht Matrix von Anfang an voll zur Sache: viel Action, gerne auch mal Kung Fu, Geballere bis zum Steinerweichen, ruck-zuckige Schnitte und visuelle Effekte.
Was Matrix aber zum sehenswerten Film macht, ist die Liebe und Sorgfalt, die in jedem Detail zu sehen sind. Bei der Ausstattung, den Fahrten, den Bildern. Man sitzt im Kino und denkt begeistert: Schön, da hat sich jemand wirklich Mühe gegeben.

Jens Steinbrenner