»MARS ATTACKS!« Fiese Viecher
Tim Burtons Alien-Invasions-Fantasie nimmt vor allem eine andere Invasions-Fantasie aufs Korn. Diesmal ist alles anders. Und doch ganz ähnlich. Wieder kommt eine große Anzahl fremder Wesen von außerhalb, wieder sehen ihre Fortbewegungsmittel aus wie fliegende Untertassen, wieder weiß man anfangs nicht genau, ob sie nette oder böse Außerirdische sind, und wieder stellen sie sich als hochgradig finsteren Sinnes heraus. Nicht jedoch als emotionslose Gesellen wie in Roland Emmerichs Independence Day , sondern als Aliens, die Spaß dabei haben, fies zu sein. Und die die Menschen für reichlich bescheuert halten, weshalb die Marslinge die Erdlinge nicht nur umnieten, sondern vorher noch verarschen. Heftig. Wer kann ihnen widerstehen, wer soll die Welt retten? Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika? Der wird zwar von Jack Nicholson gespielt, ihn interessiert aber zunächst nur, wie er den Kontakt mit den Außerirdischen medienwirksam präsentieren kann. Präsidentenberater Kessler (mit Pfeife: Pierce Brosnan) meint nämlich, daß eine Zivilisation, die technisch in der Lage ist, andere Planeten zu bereisen, auch ethisch sehr weit entwickelt sein muß. Also friedlich, die Begegnung ein historischer Moment und eine künftige Kooperation mit den Marsianern ein Gewinn für die Menschheit. Ein anderer Berater, General Decker (Rod Steiger), möchte dagegen gerne die Atombombe einsetzen. Und die First Lady (Glenn Close) sieht vor allem ihre Pläne, das Weiße Haus neu einzurichten, gefährdet. Zurecht. Die Aliens interessieren sich nicht für Wandbespannungen und Farbkombinationen, diese Aliens wollen töten. Und vielleicht eine Bio-Probe als Souvenir. Der GNN-Reporter Jason Stone (exquisit frisiert: Michael J. Fox) hat andere Sorgen: zwar ist er der beste politische Korrespondent aller Zeiten (glaubt er), aber die guten Interviews bekommt immer seine Freundin, die Mode-Moderatorin Nathalie (Sarah Jessica Parker). Beim großen Treffen mit den Aliens in der Wüste kommt dann die Stunde der Wahrheit. Jason und Nathalie machen ihre Life-Aufsager, während unten - ausgelöst durch eine Friedenstaube - ein munteres Gemetzel beginnt. Das ist der Beweis: Vielleicht haben die Marsianer hohe ethische Grundsätze, die aber zu denen der Menschen offenbar nicht kompatibel sind. Jedenfalls finden sich Jason und etliche andere atomisiert wieder, und Nathalie ist samt Hündchen ins Raumschiff entführt worden, wo sie Kessler wiedertrifft und die Aliens sofort einige lustige Experimente vornehmen. Währenddessen in Las Vegas: der Hotelunternehmer Art Land (Jack Nicholson) sieht gute Geschäfte auf sein neues Projekt zukommen, denn: was immer die Marsianer vorhaben, sie müssen irgendwo wohnen! Nur ein spielsüchtiger Anwalt (Danny DeVito) ist ob der Tatsache leicht betrübt, daß die Croupiers mehr an der Invasion als am geordneten Roulette-Betrieb interessiert sind. Daß er dann Tom Jones (Tom Jones) kennenlernt, entschädigt ihn ein bißchen, jedenfalls für die kurze ihm noch verbleibende Spielzeit. Tim Burton ist der große Bizarre des aktuellen amerikanischen Unterhaltungskinos. Seine Inspiration stammt aus der großen Zeit der Übertreibungen, der einfachen Lösungen und der grellen Effekte. Seine Helden heißt Vincent Price und Ed Wood, und tatsächlich sieht Mars Attacks! stellenweise so aus, als sei er das Remake eines Wood-Werks aus den Fünfzigern, hergestellt allerdings mit den Mitteln (und dem Budget) der Neunziger. Aber das Retrospektive ist eigentlich nur ein Aspekt in Burtons Werk, weil Burton seine Monster weder dem Haß noch der Verachtung des Publikums preisgibt. Burton liebt seine Monstren auch, wenn sie als Antagonisten funktionieren, was man besonders schön in Batman Returns sehen kann, und wenn sie scheitern, weht immer ein Hauch von Wehmut durch die Geschichten. Dieser spezielle Burton-Touch fehlt in Mars Attacks! . Die Marsianer sind zwar stärker und durch ihre pfiffige Bösartigkeit auch sympathischer als die bis auf wenige Ausnahmen doch recht tumben Menschen, aber sie sind natürlich keine Außenseiter wie die anderen Burton-Geschöpfe. Und wenn es ihnen am Ende an den Kragen geht, tun sie einem genauso wenig leid wie all die pulverisierten Stars und Kleindarsteller, die der Invasion vorher zum Opfer gefallen sind. Deshalb haben wir uns im Mars Attacks! trotzdem sehr amüsiert, aber wir hatten auch ein bißchen das Gefühl, im falschen Film zu sitzen. Weil Mars Attacks! vor allem wie eine Parodie auf Independence Day daherkommt. Wo der Deutsche Emmerich seine Hoffnungen auf die Vorzüge des amerikanischen Systems, auf die besonderen Qualitäten der amerikanischen Menschen gelegt hat, läßt Tim Burton alle Hoffnungen fahren. Der Präsident ist so blöd wie seine Berater, und die Rettung kommt nicht durch Heldentum und Wagemut, sondern durch einen ziemlich abwegigen Zufall. Abgedrehte Schenkelklopfer-Parodien dieser Art waren bisher die Domäne von Jim Abrahams mit den Zucker-Brüdern, mag sein, daß Tim Burton es einfach probieren wollte: Plan 9 aus dem Weltall trifft Independence Day und noch eine Reihe anderer moderner SF-Schocker, versehen mit der Tim-Burton-Ästhetik, aber leider ohne den Tim-Burton-Touch. Das ergibt nicht den bestmöglichen Burton-Film, aber sicher einen der amüsantesten Filme dieses Frühlings.
Jens Steinbrenner
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