MARIE ANTOINETTE

Das Leben als Tortenschlacht

Sofia Coppola portraitiert die berüchtigste First Lady Frankreichs

Als die gut gepolsterte Kutsche im Jahre 1768 nach tagelanger Reise die französische Grenze erreicht, wird Marie Antoinette in einen Zeltbau aus Samt geführt, wo sie all ihre Habseligkeiten und Kleidung ablegen und nackt den Schritt auf die französische Seite gehen muss.
Es ist ein eindringliches (und historisch verbrieftes) Bild, das Sofia Coppola an den Beginn ihres Porträts der umstrittensten First Lady Frankreichs setzt. Schutzlos betritt das 14jährige Mädchen, das aus diplomatischen Gründen an den französischen Hof vermählt wird, die neue Welt aus Prunk, Pomp, Macht und Intrigen. Versailles ist ein Fanal des Luxus, wie es die Welt nicht wieder zustande bekommen wird. Mit den staunenden Augen eines Teenagers schwelgt die Kamera in den bonbonfarbenen Dekors, vergoldeten Ornamenten und endlosen Fluren des Hofes.
Kirsten Dunst spielt die Jugendliche, die hineingeworfen wird in diese fremde Welt, in der die ehernen Gesetze der Etikette ihr die Luft abschnüren und die Langeweile mit lustvoller Verschwendungssucht kompensiert wird. Jeden Morgen stehen zwei Dutzend Hofdamen vor dem Bett, um der zukünftigen Königin Frankreichs in strenger Rangfolge beim Ankleiden behilflich zu sein.
Der angetraute Louis-Auguste (Jason Schwartzman) hat das Gemach längst verlassen. Denn die morgendliche Jagd interessiert den jungenhaften Thronfolger mehr als die eheliche Pflichterfüllung. Die Ergebnislosigkeit der Beziehung macht Marie Antoinette bis zur Geburt der ersten Tochter sieben Jahre lang zum Gespött des Hofes. Immer ungehemmter gibt sie sich der Droge Luxus hin. Ganze Gebirge von Kuchen und rosafarbenen Sahnetorten umgeben sie bei den nachmittäglichen Champagner-Empfängen, die sie für den engen Kreis ihrer Freundinnen gibt.
Überhaupt Rosa. Rosa ist die Grundfarbe dieses Films, die sich überall an Wänden und Wangen, in Kuchen, Kostümen und auf geschminkten Lippen wieder findet. Es ist die Farbe der vermeintlich heilen Welt, des süßen Lebens und der Sehnsucht zurück in die Kindheit zu dürfen, aus der das Mädchen so unsanft herausgeworfen wurde.
Später lässt sich die Königin ihre kleine, heile Welt einfach am Rande von Versailles nachbauen: ein Bilderbuchdorf mit Bauernhof, Mühle und Schafstall, in das sich die junge Mutter mit ihren Kindern zurückzieht, während sich draußen im nahen Paris eine Revolution zusammenbraut.
Wie Coppolas erste Filme The Virgin Suicides und Lost in Translation ist auch Marie Antoinette eine Studie über die Einsamkeit. Konsequent behält Coppola die Teenagerperspektive bei und versucht mit schnellen Schnittfolgen und schmissigem 80er-Jahre-Soundtrack den Klischeefallen des Kostümfilms zu entgehen. Ganze Szenen werden als Bilderkollagen angelegt, und eine klassische Storyline, die die historischen Ereignisse abarbeitet, gibt es nicht. Das lose Konzept führt jedoch auch phasenweise dazu, dass sich die Darstellung der ritualisierten Langeweile bei Hofe auf das Publikum ähnlich ermüdend auswirkt. Das, was Coppolas Lost in Translation auszeichnete - die Konzentration auf die Figuren und das Erzählen übers Atmosphärische - verliert sich hier in einem unfokussierten Erzählstil, der sich genau wie die Hauptfigur im Rausch von Tortenorgien und Kostümbällen des öfteren selbst verliert.

Martin Schwickert

USA 2006 R&B: Sofia Coppola K: Lance Acord D: Kirsten Dunst, Jason Schwartzman, Rip Torn