MADEMOISELLE


Binden und Rasierschaum

Sandrine Bonnaire, Jacques Gamblin und die allmähliche Liebe

Wer hierzulande eine junge Frau "Fräulein" nennt, macht sich unbeliebt und sollte für feministische Debatten gewappnet sein. Das französische Synonym "Mademoiselle" dagegen klingt versöhnlicher, fast schon galant. Als Claire (Sandrine Bonnaire) von einem Hotelbediensteten mit "Mademoiselle" angesprochen wird, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Wahrscheinlich, weil die Anrede sie kurz zurückwirft in den Zustand des Ungebundenseins.
Claire ist 33, verheiratet, zwei Kinder, von Beruf Pharma-Referentin - eine Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht. Ein paar Drehbuchzufälle lassen sie auf den Schauspieler Pierre (Jacques Gamblin) treffen. Wenn eine Frau, die in einer Drogerie Rasierschaum erwerben will, einen Mann beim Bindenkauf berät, dann muss daraus so etwas wie Liebe entstehen. Zumindest in einem französischen Film. Mademoiselle ist ein französischer Film. In jeder Minute. In jeder Einstellung. Wie schaffen es die Franzosen nur immer wieder, amouröse Banalitäten derart unterhaltsam in Szene zu setzen?
Die Schauspieler und die entspannte, gründliche Art, mit der sie die Gefühlslagen ihrer Figuren erkunden, sind ein Grund. Bonnaire und Gamblin haben schon in Chabrols Die Farbe der Lüge als eingespieltes Ehepaar gemeinsam vor der Kamera gestanden. Mit sichtbarem Vergnügen spielen sie hier das Liebespaar für einen Tag und eine Nacht. In einem abgelegenen Hotel an der Cote d'Azur trifft Claire den Bindenkäufer wieder. Als Kellner verkleidet unterhält Pierre mit seiner Improvisationstheatergruppe die versammelte Arzneimittelvertreterschaft. Ein verpasster Bus und eine sperrige Leuchtturmattrappe, die zur rechten Zeit am rechten Ort vergessen wird, bringt die Verliebten immer wieder zusammen.
Mit jedem Abschied kommt man sich näher, fallen die Schranken Schritt für Schritt. Das ist auf eine leise Art sehr spannend. Ohne große Worte studiert Regisseur Philippe Lioret die Anatomie des Seitensprungs - einer intensiven, flüchtigen Begegnung, die schon am Morgen danach nur noch Erinnerung ist und im Gedächtnis als geheimer Schatz sicher verwahrt wird.

Martin Schwickert
F 2001 R&B: Philippe Lioret K: Bertraind Chatry D: Sandrine Bonnaire, Jacques Gamblin