»LIEBE! STÄRKE! MITGEFÜHL!«

Golden Pound

Schwulenszenen auf dem Lande

Drei große Worte und drei fordernde Ausrufezeichen und drei ehrenrührige Begriffe in einem Filmtitel. Dabei ist Liebe!Stärke!Mitgefühl! von Joe Mantello eigentlich bloß eher ein Familienfilm, nur daß alle Mitglieder der Familie ungefähr im gleichen Alter, allesamt Männer und dazu noch schwul sind. Es ist Sommer und wie in jedem Jahr lädt Gregory (Stephen Bogardus) seine besten Freunde für drei Wochenenden in seine schmucke victorianische Landvilla ein. Gregory ist ein erfolgreicher bärtiger Choreograph, Mitte Vierzig, der hier in der ländlichen Idylle mit Seeblick sein neues Stück erarbeitet. Mit von der Wochenendpartie ist Gregorys langjähriger blinder Liebhaber Bobby (Justin Kirk), sowie Athur und Perry (John Benjamin Hickey und Stephen Spinella), der eine Anwalt, der andere Buchhalter und auch sie schon lange ein Paar. John (John Glover), ein englischer Komponist, auf den sich niemand so recht zu freuen scheint, taucht in Begleitung seines aktuellen Latin-Lovers Ramon (Randy Becker) auf. Der einzige Single im Bunde ist Buzz (Jason Alexander), ein Pausenclowntyp, der Broadwaymusicals zitiert, jedem, der das Wort AIDS ausspricht, fünf Dollar abknöpfen will, und dafür seine Gründe hat. Später kommt noch Johns Zwillingsbruder James hinzu - eine herzensgute Tunte und an AIDS schwer erkrankt. Wie das eben so ist, wenn Städter auf dem Land so richtig ausspannen wollen, sie bringen ihre Probleme mit und machen sich noch welche hinzu. Schon bald beginnt es im Interaktionsgefüge zu knirschen. Für die beiden stabilen Zweier-Beziehungen wird der junge, knackige Ramon zur Bewährungsprobe. Während Perry noch einmal um den Sündenfall herummanövriert und mit seinem Arthur auf dem Lande 14.Hochzeitstag feiern kann, erliegt Bobby der Versuchung, was den sonst so gut geerdeten Gregory völlig aus der Fassung bringt. John - ohnehin eher ein verstimmter Typ - ist von dieser Affaire genauso wenig begeistert, wie von der Anwesenheit seines Zwillingsbruders, zu dem er seit frühester Kindheit eine konkurrente Beziehung pflegt. Auch der Komiker Buzz hat seine tragischen Parts, bändelt jedoch zart mit dem erkrankten James an. Wie auf dem Reißbrett werden hier die Konflikte entworfen und auf das harmonischste wieder verworfen. Fließen auch noch soviele Tränen, nie glaubt man wirklich, daß in der schwulen Großfamilie nicht alles wieder ins Lot kommt. Nächtliche Verführungsszenen vor dem Kühlschrank, Paarpaddeln auf dem See, Schaukelstuhlromantik auf der Veranda, Versöhnung unterm Sternenzelt und nach einem langen Tag geht die Kamera begleitet von Oboenklängen von Schlafzimmer zu Schlafzimmer, so wie man es von den Waltons noch kennt.
Liebe!Stärke!Mitgefühl ! ist der ultimative Wohlfühlfilm für die "Fourtysomethings" im etablierten schwulen Mittelstand und zielt damit sicherlich in eine Marktlücke hinein. AIDS ist auch hier ein unvermeidliches Thema - zurecht, denn gerade in dieser Schwulengeneration, in der sich viele schon infiziert hatten, bevor das Virus überhaupt entdeckt wurde, ist AIDS als Problem omnipräsent. Liebe! Stärke! Mitgefühl ! zeigt aber auch, daß dieses Thema nur zu gerne als sentimentales Gleitmittel verwendet wird, für Filmgeschichten, die an dramatischer Tiefe wenig zu bieten haben. Natürlich funktioniert das auch in diesem Film. Aber während man noch in der Jacke nach dem Schnupftuch kramt, herrscht auch schon wieder Sonnenschein im victorianischen Landhaus.
Als Theaterstück von Terrence McNally feierte Liebe!Stärke!Mitgefühl !" zunächst am Broadway große Erfolge, bevor die sentimentale Komödie vom gleichen Regisseur und mit dem gleichen Schauspielerensemble für die Leinwand aufgearbeitet wurde. Der Film kann seine Herkunft nicht verbergen und man hätte sich vielleicht doch mehr Mühe geben sollen, die Szenen mit filmischen Schauwerten anzureichern. Ein paar Badeszenen am See nehmen der Angelegenheit nicht ihren Kammerspielcharakter und auch die Zeichnung der Figuren hält dem genauen Blick der Filmkamera nicht stand.

Martin Schwickert