Little Thirteen

Wohnblockblues

Geschichten aus dem neuen Getto

Ich mach' einfach die Augen zu und stelle mir vor, dass es immer derselbe Typ ist" erklärt Sarah zu Beginn aus dem Off. Sarah ist dreizehn, sieht aus wie sechzehn und kann sich kaum noch an all die Kerle erinnern, mit denen sie geschlafen hat. Einen nach dem anderen wickelt sie um den Finger und lässt sie danach wieder gehen, weil keiner von ihnen für sie von Bedeutung ist. Der schnelle Sex kommt den Unverbindlichkeitsbedürfnissen der Jungs entgegen und für Sarah ist er ein leicht flüchtiger Ersatz für eine Geborgenheit, die ihr im Leben fehlt.

Sarahs Mutter ist 29 und benimmt sich so, als wäre sie die Schwester ihrer Tochter. Ungehemmt baggert sie ihren Lover Maik (Gerdy Zint) auf der Couch an, während ihre Tochter daneben sitzt; gelegentlich vernascht sie auch einen von Sarahs jungen Liebhabern.

Die sexuelle Beliebigkeit ändert sich, als Sarah den Gymnasiasten Lukas kennen lernt, der nicht gleich beim ersten Date mit ihr ins Bett will. Die Sache mit Lukas fühlt sich anders an als alles andere davor. Was Sarah nicht weiß: Lukas und sein Freund lassen die Kamera laufen, wenn sie mit einem Mädchen schlafen und verkaufen die Aufnahmen an einen Kinderporno-Dealer, um ihren Drogenkonsum fürs Wochenende zu finanzieren.

Während Sarah sich zu verlieben beginnt, stellt ihre beste Freundin Charly fest, dass sie schwanger ist, und hat keine Ahnung von wem. Nacheinander trifft sie sich mit den potenziellen Kandidaten und versucht herauszufinden, wer davon am besten als Vater geeignet ist. Das Kind will sie auf jeden Fall behalten, denn nur so kann sie eine eigene Wohnung bekommen und endlich bei ihrer depressiven Mutter ausziehen.

Tief hinein begibt sich Christian Klandt mit seinem Hochschulabschlussfilm Little Thirteen in die Welt der sozialen Verwahrlosung. Dabei gelingt es ihm, sich ohne paternalistische Betulichkeit und moralische Verurteilungen den Figuren und ihrem Milieu zu nähern. Die Plattenbaukulisse dient hier einmal nicht als stereotypisierte Tristesse, sondern als ein normaler Lebensraum, der nachts genauso zum Leuchten gebracht werden kann wie eine schicke Kneipenmeile in Berlin-Mitte.

Hart, aber ehrlich zeigt der Film die soziale Realität in Deutschland. Ebenso sensibel ist Klandts Umgang mit den Figuren, die vom Filmemacher einen Vorschuss an Vertrauen und Akzeptanz bekommen, den sie im echten Leben kaum erfahren würden. Das, wovon der Film erzählt, die sexuelle Hyperaktivität von Dreizehnjährigen, Teenager-Schwangerschaft, Kinderpornografie, die familiäre Verwahrlosung und das erzieherisches Versagen der Eltern - all das sind schockierende Zustände, die die Mehrheitsgesellschaft nur aus der sicheren Distanz von Zeitungsüberschriften und TV-Berichten wahrnimmt. Little Thirteen gelingt es ebenso einfühlsam wie ungeschönt diese Zustände als das zu zeigen, was sie sind: die bittere, gesellschaftliche Normalität, in der jugendliche Glücksansprüche gegen die Macht der Verhältnisse kaum eine Chance haben.

Martin Schwickert

D 2012 R: Christian Klandt B: Catrin Lüth K: Andreas Hartmann D: Muriel Wimmer, Antonia Putiloff, Joseph Bundschuh