Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger Spirituelle Effekte Bei Ang Lee erreicht die 3D-Technik erstmals kreative Tiefe Wenn nach einem Schiffbruch auf hoher See ein schmächtiger Junge und ein bengalischer Tiger zusammen in einem Rettungsboot landen, dann klingt das nach einer verdammt kurzen Geschichte. Aber der kanadische Autor Yann Martel hat aus dieser Prämisse einen über 300 Seiten starken Roman entwickelt, der mit dem renommierten Booker-Preis ausgezeichnet wurde und weltweit mehr als 7 Millionen Leser fand. Der amerikanisch-taiwanesische Regisseur Ang Lee (Brokeback Mountain) hat sich daran gemacht, das als unverfilmbar geltende Buch auf die große Leinwand zu bringen und dabei ein wahrhaft magisches Stück Kino erschaffen, in dem die 3D-Technik so poesievoll wie noch nie zum Einsatz kommt. Erzählt wird die Lebensgeschichte des jungen Pi (Suraj Sharma), der in den 70er Jahren im indischen Pondicherry aufwächst, wo sein Vater (Adil Hussain) einen Zoo inmitten des botanischen Gartens der Stadt besitzt. Geradezu paradiesisch ist die Kindheit zwischen Zebras, Affen, Nilpferden und exotischen Pflanzen. Besonders fühlt sich Pi zu dem bengalischen Tiger namens Richard Parker hingezogen. Aber der Vater schärft ihm mit einer grausam-anschaulichen Lektion ein, dass der Mensch einem Raubtier nie vertrauen darf. Die politischen Verhältnisse zwingen die Familie dazu, nach Kanada zu emigrieren. Ein Teil der Zootiere soll mit in die neue Welt reisen, wo der Vater sie gewinnbringend verkaufen will, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Aber der japanische Frachter gerät während eines Sturmes in Seenot und Pi findet sich in einem Rettungsboot wieder, gemeinsam mit einem verletzten Zebra, einem Orang-Utan, einer Hyäne und dem Tiger. Im Kampf ums Überleben geht unter den Tieren erwartungsgemäß der Tiger bald als Sieger hervor. Pi flüchtet sich auf ein selbstgebasteltes Floß, das er am Boot anbindet, und treibt fortan mit dem Raubtier als einzigem und gefährlichen Gefährten durch die Weiten des Pazifiks. In das existenzielle Setting setzt Ang Lee immer wieder fantastische Elemente ein, in denen das sich verändernde Meer die emotionale Verfassung des jungen Helden spiegelt. Mal verwandelt sich die See in ein wütendes Gewässer, mal leuchtet die phosphorisierende Flora in die sternenklare Nacht hinaus, mal rettet ein Schwarm fliegender Fische die beiden Schiffbrüchigen vor dem Hungertod. Die Bilder, die Lee hier aus den maritimen Welten herbeizaubert, haben eine enorme Leuchtkraft. Wurde die 3D-Technik im Realfilm bisher hauptsächlich als Verstärkereffekt für Actionszenen verwendet, bekommt sie hier kreative Tiefe. Über die visuelle Projektionsfläche werden die existenziellen und spirituellen Themen reflektiert, die im Überlebenskampf des Jungen auf hoher See von zentraler Bedeutung sind. Denn im langsamen Aufbau der friedlichen Koexistenz zwischen Mensch und Tiger und der Auseinandersetzung mit einer scheinbar ausweglosen Situation wird Pis Glaube an Gott und an sich selbst auf eine harte Probe gestellt und in einer metaphorischen Schlusswendung schließlich auch die Verlässlichkeit des Erzählers hinterfragt. Das alles geschieht unter Lees unaufdringlicher Regie mit vollkommen leichter Hand und einer visuellen Kraft, die dem Kino weit über den dreidimensionalen Effekt hinaus neue Räume eröffnet. Martin Schwickert USA 2012 125 min Regie: Ang Lee B: David Magee nach einem Roman von Yann Martel D: Suraj Sharma, Irrfan Khan, Tabu
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