»LIEBESFLÜSTERN« Nach der Liebe
Alan Rudolph guckt auf Gefühle und ihr Nachglühen Der deutsche Verleihtitel führt in die Irre, denn nicht um den Zustand des Verliebtseins geht es in Alan Rudolphs Liebesflüstern , sondern um das, was danach von der Liebe übrigbleibt. Afterglow heißt der englische Originaltitel treffender - das Nachglühen des Feuers, nachdem die Flammen erloschen sind. Daß es zwischen Jeffrey und Marianne Byron irgendwann einmal gelodert hat, kann man sich kaum vorstellen. Noch keine dreißig Jahre alt, hat Jeffrey (Jonny Lee Miller) durch seine steile Karriere in einem Großkonzern schon alles erreicht, aber wenig erlebt. Manchmal drängt es ihn auf die Balkonbrüstung, dort balanciert er dann auf einem Bein, solange bis der Anfall vorbei ist. Zu Hause wartet Marianne (Lara Flynn Boyle) in einer bis ins Detail durchgestylten Designer-Wohnung. Sie verzweifelt an täglichen Einsamkeit und an der Gefühllosigkeit ihres Ehemannes, der schon lange nicht mehr mit ihr schläft. Marianne will Zuneigung, Sex, ein Kind, und durch die steigende Hysterie, mit der sie ihre Forderung vorbringt, gibt sie sich der Lächerlichkeit preis. Die junge Ehe ist im materiellen Luxus vollends erstarrt. Auch bei Lucky und Phillis Mann herrscht nach 26 Ehejahren Stillstand. Man respektiert und arrangiert sich - ein scheinbar einvernehmlicher Zustand der Stagnation. Lucky (Nick Nolte) geht seinem Gewerbe als Allround-Handwerker nach und vergnügt sich nach getaner Arbeit mit der vornehmlich weiblichen Klientel. Zu Hause wird Phillis (Julie Christie) von ihren Erinnerungen eingeholt. Auf dem Sofa sitzend inspiziert die einstige B-Movie-Darstellerin Tag für Tag ihre alten Filme. Draußen auf der Straße glaubt sie immer wieder ihre Tochter zu entdecken, die sie vor Jahren Hals über Kopf verlassen hat. Lucky tröstet sie so gut es geht, Phillis verzichtet im Gegenzug darauf, die Eskapaden ihres Mannes anzuprangern. Die Geschichten kreuzen sich. Die Paare mischen sich. Die Routine gerät aus den Fugen. Lucky soll in dem Luxusappartment der Byrans das Kinderzimmer ausbauen und die vernachlässigte Marianne verliebt sich sogleich in den breitschultrigen Haushandwerker. Auch für Lucky wird daraus mehr als ein berufsbedingter Routineflirt. Phillis wird entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit eifersüchtig und trifft in einer Bar zufällig auf den ihr unbekannten Jeffrey, der hier verzweifelt nach Abenteuern Ausschau hält. In der gemischten Doppelkonstellation kommt es zu Turbulenzen, die nicht allein der Belustigung dienen, sondern Stück für Stück die Schatten der Vergangenheit, die versteckten Sehnsüchte und verschütteten Gefühle der Figuren zum Vorschein bringen. Mit leiser Ironie entblöst Alan Rudolph seine Protagonisten, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Dabei läßt der Regisseur seinen Darstellern offensichtlich genug Raum für differenziertes Spiel, so daß man selbst Leinwand-Ikonen wie Julie Christie und Nick Nolte mit völlig neuen Augen zu sehen glaubt. Wer die Filme Alan Rudolphs kennt und schätzt, weiß, daß sie ihren eigenen Stil aus einem Dilemma heraus entwickeln: aus einem Hang des Regisseurs zum Populär- und Genrekino und der dauernden Weigerung, dessen strenger Gesetzgebung zu folgen. Diese Haßliebe zum Mainstream-Kino fördert in Rudolphs Filmen eine eigene Handschrift hervor. So unterschiedlich Filme wie The Moderns , Tödliche Gedanken , Equinox oder zuletzt Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis auch sein mögen, es sind Filme - und das gilt auch für Liebesflüstern - deren Erzählrhythmus Raum läßt. Filme ohne Korsett. Filme, in denen man sich bewegen kann.
Martin Schwickert
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