HERR LEHMANN

Abgefilmt

Und wieder ist Berlin in den seligen 80ern ...

Müßiggänger sind aufgrund ihres reichhaltigen Innenlebens in der Literatur sehr beliebt. Im Film hingegen sind sie schwer zu handhaben. Es gibt nur wenige Regisseure, die es schaffen, über Nichtstuer anständige Filme zu drehen. Aki Kaurismäki zum Beispiel. Oder Takeshi Kitano.
Leander Haußmann ( Sonnenallee ) gehört jedenfalls nicht dazu. Er hat sich den Bestseller-Roman Herr Lehmann von Sven Regener vorgenommen, der recht unterhaltsam aus dem ereignisarmen Leben eines Kreuzberger Bohémiens berichtet.
Berlin-Kreuzberg Ende der Achtziger - das war ein Biotop für Leistungsverweigerer und Kneipenphilosophen. Durch Mauer und Landwehrkanal sorgfältig vom Rest der Welt abgeschottet, schmorte hier die Subkultur gemütlich im eigenen Saft. Seit Jahren schon steht Lehmann (Christian Ulmen) abends im "Einfall" hinter dem Tresen und verteilt Becksbierflaschen an die bedürftigen Besucher. Lehmann ist ein Mann ohne Ambitionen. Bald wird er dreißig. Aber das ist auch nur so eine Zahl und noch lange kein Grund, die eigene Barkeeperexistenz in Frage zu stellen.
Irgendwie kommt Lehmanns Leben dann doch ins Trudeln. Er verliebt sich in die schöne Köchin Katrin (Katja Danowski), sein bester Freund Karl (Detlev Buck) gerät aus dem Gleis, die Eltern kommen zu Besuch, und ganz am Schluss fällt fast unbemerkt auch noch die Berliner Mauer.
Die Stärke von Sven Regeners Romanvorlage liegt in den ausufernden inneren Monologen, mit denen der Antiheld die Widrigkeiten seines verlotterten Alltages beschreibt. Ein Ausflug von Kreuzberg zum Kudamm etwa wird hier zum großstädtischen Survivaltrip. Im Buch wird die kleine Welt des Frank Lehmann zu einem eigenen Universum und genau diese Übersetzung funktioniert im Film nicht. Das Drehbuch - von Regener selbst verfasst - hält sich an den schwächsten Punkten der Vorlage fest: an der schleppenden Handlung und den oftmals alkoholvernebelten Dialogen.
Der Besuch der Eltern in der Mauerstadt z.B., auf den der Lehmann des Romans mit verstörter Sympathie blickt, degeneriert im Film zu einer platten Knallchargennummer. Haußmann interessiert sich nur für den komödiantischen Bringwert und hat keinen Sinn für die Melancholie, die sich hinter der Komik verbirgt. Sein Film findet keine Bilder für die wohlig-klaustrophobische Stimmung, die Regener in seinem Roman so plastisch entfaltet.
Ohnehin sieht Haußmanns Kreuzberg eher nach Studio Babelsberg aus, wo er in der gleichen Kulissenstraße schon Sonnenallee abgefilmt hat. Vergeblich versucht Christian Ulmen mit dauerglasigem Blick der Lehmann-Figur etwas Tiefgründigkeit zu verleihen und sieht dabei doch eher aus, als würde er auf eine Regieanweisung warten, die ihn von seinen Qualen erlöst. Detlev Buck wirft sich mit Verve in die Rolle des Kneipenhallodris, scheitert jedoch an der tragischen Entwicklung der Figur.
Crazy , Soloalbum , Liegen lernen - Bestseller-Romane gelten nicht nur in der deutschen Filmbranche als sichere Bank. Aber so manches Buch wäre besser im Regal geblieben. Herr Lehmann gehört auf jeden Fall dazu.

Martin Schwickert

2003 R: Leander Haußmann B: Sven Regener K: Frank Griebe D: Christian Ulmen, Katja Danowski, Detlev Buck