LANTANA

Mit kühlem Blick

Ein australischer Mikrokosmos ... la »Magnolia«

Am Anfang schleicht die Kamera durchs Gebüsch und entdeckt die Leiche einer Frau. Ihr Gesicht ist nicht zu erkennen, ihre Identität ein Geheimnis. Die Bilder des leblosen Körpers bleiben ein Rätsel, an dessen Entschlüsselung zwei Kinostunden lang gearbeitet wird. Ray Lawrence stilsichere Thriller Lantana wird von der Erkenntnis angetrieben, dass der Mensch nicht nur an seinen unmittelbaren Todesursachen stirbt.
Die retrospektiven Ermittlungen verknüpfen vier Paarbeziehungen miteinander, die sich in unterschiedlichen Stadien ehelicher Zerrüttung befinden. Der ausgebrannte Cop Leon (Anthony LaPaglia) steckt knietief in der Midlife-Crisis. Widerwillig besucht er mit seiner Frau Sonja (Kerry Armstrong) einen Salsa-Kurs. Vergeblich versucht der Lehrer ein wenig Leidenschaft in den Tanz des emotional erstarrten Paares zu bringen. Leon flüchtet sich aus der Ehe in eine lustlose Affäre, während Sonja ihre Depressionen heimlich bei einer Psychotherapeutin behandeln lässt, die selbst mit ihrem eigenen Trauma beschäftigt ist. Seit die Tochter vor einigen Jahren ermordet wurde, hat Valerie (Barbara Hershey) den Halt im Leben verloren. Ein ganzes Buch hat die erfolgreiche Psychiaterin über ihre eigenen Schmerzerfahrungen geschrieben, während ihr Mann John (Geoffrey Rush) sich in seine Trauer eingeschlossen hat. Auf eine sehr einfache, alltägliche Art sind Nic (Vince Colosimo) und Paula (Daniela Farinacci) das einzige glückliche Paar im Kosmos dieses Films. Der arbeitslose Mann kümmert sich um die drei Kinder, während seine Frau als Krankenschwester arbeitet. Das junge Familienglück wird eifersüchtig von der Nachbarin beäugt. Jane (Rachael Blake) ist seit kurzem geschieden und ihre Affäre mit dem undurchsichtigen Polizisten Leon entwickelt sich wenig vielversprechend. Als Valerie nach einer Autopanne spurlos verschwindet, übernimmt Leon die Ermittlungen, findet Jane ein Beweisstück, durch das wiederum ihr Nachbar Nic unter Mordverdacht gerät.
Was zunächst wie eine dramaturgische Loseblattsammlung daherkommt, entwickelt durch die allmähliche Verkettung der Figuren miteinander schon bald seine subtile Sogwirkung. Durch die Aufklärung des Falles überlagern und verknäulen sich die Gefühle und Beziehungen. Lantana ist ein Psychothriller im eigentlichen Wortsinn, denn die Spannung entsteht hier allein aus der Psyche der Figuren. Kunstvoll, aber ohne Zusatz künstlicher Effekte verknüpft Ray Lawrence seine Kriminalgeschichte mit einem Reigen der Einsamkeiten. Die Konfiguration weist Ähnlichkeiten mit P.T.Andersons Magnolia auf. Nur dass Lantana nüchterner auf die zerrütteten Seelenlandschaften der australischen Gesellschaft blickt und jegliche moralische Haltung meidet.
Regisseur Lawrenc ist ein mehrfach ausgezeichneter Werbefilmer. Er weiß um die Verführungskraft der Bilder, aber auch dass aus der Distanz heraus oft eine größere Tiefenwirkung entsteht. Im kühlen, diagnostischen Blick liegt die eigentliche Magie von Lantana , der sein Publikum unmerklich fesselt und tief berührt.

Martin Schwickert

Aust/D 2001 R: Ray Lawrence B: Andrew Bovell K: Mandy Walker D: Anthony LaPaglia, Elisabeth Hershey, Geoffrey Rush