LAMPEDUSA Zu viel Blau, zu viel Gefühle Eine unkonventionelle Frau irritiert ein Dorf Lampedusa - das ist eine felsige, baumlose Insel vor Sizilien. Die Menschen, die sie bewohnen, leben vom Meer. Die Männer fahren zur See, die Frauen arbeiten in der Fischfabrik. Die Sonne brennt auf die karstige Landschaft und die verlassenen Bauruinen, in denen die Jugendbanden ihre Kräfte messen. Jeder kennt hier jeden und alle kennen Grazia (Valeria Golino). Sie ist von der Insel und gehört doch nicht hier her. Nicht in die verbrannte Landschaft und nicht in die enge Gemeinschaft, in der man seinen zugewiesenen Platz ein Leben lang nicht verlässt. "Sie ist verrückt", sagen die Leute, aber das ist nur eine willkürliche Definition. Vielleicht fühlt Grazia einfach nur zuviel. Zuviel Freude, zuviel Trauer, zuviel Wärme, zuviel Spontaneität. Selbst ihr Augenblau ist viel zu blau und tritt mit Himmel und Meer in Konkurrenz. Grazia ist verheiratet. Ihr Mann Pietro (Vincenzo Amato) und die drei Kinder lieben sie mit all ihren Macken. Dieser Familienkosmos hat seine eigenen Gesetze entwickelt. Aber die Außenwelt hat andere, oft unausgesprochene Regeln, gegen die Grazia immer wieder verstößt. Als sie die Türen des Tierasyls öffnet und die wilde Hundemeute durch den Ort treibt, stimmt schließlich auch Pietro zu, sie nach Mailand in die Psychiatrie zu bringen. Grazia flüchtet mit Hilfe ihres Sohnes in eine verborgene Grotte über dem Meer. Am Strand findet man nur ihr rotes Kleid und die vermeintliche Tote wird im Dorf zur Legende. "Du bist eine Heilige geworden", sagt Pasquale zu Gracia, bevor sie endgültig aus dieser Welt verschwindet. Lampedusa beruht auf einer Legende, auf die der italienische Filmemacher Emanuele Crialese bei einem Besuch auf der Insel gestoßen ist. Seinen Film hat er deshalb in einen unmerklichen Schwebezustand zwischen Realismus und Magie versetzt. Seine Hauptfigur Grazia ist ein realer Störfaktor, der die Dorfgemeinschaft aus dem Gleichgewicht bringt. Gleichzeitig bietet ihre Sinnlichkeit aber auch Raum für die Projektionen und verdrängten Sehnsüchte der Bewohner. Crialese arbeitet daraus glücklicherweise kein Lynchjustizszenario, sondern konzentriert sich auf die feinen Unstimmigkeiten, die die Figur in der archaischen Inselordnung auslöst. Lampedusa ist ein Film, der weniger auf Dialoge setzt als auf die Handlungen der Figuren und die Sprache ihrer Körper. Hinzu kommt die Landschaft, die sich mit ihren starken Kontrasten, in die Charaktere und die gegerbten Gesichter der Menschen eingearbeitet hat. Vor allem in seinen grandiosen Unterwasseraufnahmen findet Kameramann Fabio Zamaron Bilder, die fernab der Postkartenklischees ihre eigene Magie zwischen Himmel, Erde und Meer entwickeln. Martin Schwickert Respiro F/I 2002 R&B: Emanuele Crialese K: Fabio Zamaraon D: Valeria Golino, Vincenzo Amato, Farncesco Casisa
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