KURT & COURTNEY

Der Schnüffler

Der Film, den Courtney Love verbieten lassen wollte. Dabei erledigt sich das Machwerk von selbst

Wer berühmt ist und zu früh stirbt, dessen Tod wird schnell zum Mythos stilisiert. Da unterscheiden sich die Legenden von Lady Di und dem Nirvana-Sänger Kurt Cobain nur in den Details. Das Leben und Sterben der Grunge-Ikone Cobain hätte genug Stoff für einen interessanten, abendfüllenden Dokumentarfilm hergegeben: Kindheit und Jugend im kaputten Elternhaus, der kometenhafte Aufstieg des sensiblen Bürschleins aus Seattle zum internationalen Star, der exzessive Drogengebrauch, die intensive und zerstörerische Beziehung zu Courtney Love und die Frage, warum die eine (Courtney) vom Erfolg lebt und der andere (Kurt) daran zugrunde ging - all das wäre eine spannende und erhellende Untersuchung wert gewesen. Aber der BBC-Journalist Nick Broomfield will höher hinaus. Er will enthüllen. Als Kurt Cobain 1994 auf seinem Anwesen in Seattle tot aufgefunden wurde, attestierte die Polizei Selbstmord. Die Spekulationen, daß Courtney Love am Tod ihres Mannes nicht unbeteiligt war, rissen nicht ab. Im Paperbackformat und auf Internet-Seiten wurden Mordthesen verbreitet und Verschwörungstheorien geschmiedet. Mit geschulterter Handkamera reist nun Broomfield kreuz und quer durch die USA, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen und zerrt dabei viel ungeheuerliches und kaum etwas glaubwürdiges hervor. Da wird Courtney Loves Vater als Hauptvertreter der Mordthese vorgestellt. Offensichtlich hat der Mann ein verstörtes Verhältnis zu seiner ruhmreichen Tochter und traut ihr jede noch so schreckliche Schandtat zu. Ein Ex-Lover berichtet von seinen traumatischen Beziehungserfahrungen mit der gefährlichen Schlampe. Ein Privatdetektiv wird zitiert, der den Fall Cobain zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat und eine eigene Website zur Mordthese unterhält. Der beste Freund des Verstorbenen beteuert, daß Cobain sich nie selbst umbringen wollte, und bekommt dabei kaum einen grammatikalisch vollständigen Satz zusammen, weil er bis zur Nasenwurzel mit Heroin zugedröhnt ist. Höhepunkt ist ein Interview mit einem recht verwahrlosten, ungemein gefährlich aussehenden Heavy-Metal-Musiker mit dem klangvollen Namen "El Duce". Er behauptet, Courtney Love habe ihm höchstpersönlich 50.000 Dollar zur Ehegattenentsorgung angeboten. Wenn man ihm ein Bier ausgebe, so "El Duce" weiter, könne er noch mehr erzählen. Als Zuschauer ist man davon überzeugt, daß er für drei Biere auch den Kennedy-Mord und das Papst-Attentat auf sich nehmen würde. "El Duce", so erfahren wir vom Filmemacher, sei nur wenige Wochen nach dem Interview von einem Zug überfahren worden. Uns wundert das nicht, Nick Broomfield hingegen sieht darin ein weiteres Indiz für die Verschwörungstheorie. Mit aller Macht und allen Mitteln versuche Love auch seine Arbeit zu behindern. So durfte er für seinen Film keinen einzigen Nirvana-Song benutzen und Courtney Love verweigerte ihm - wen wundertÆs? - jegliches Gespräch. Mit zunehmender Hysterie stellt Broomfield die Grunge-Lady als skrupelloses Karriereweib und Inkarnation des Bösen dar - man muß kein Psychoanalytiker sein, um hier beim Filmemacher verdrängte Kastrationsängste zu vermuten. Eigentlich erreicht Broomfield, der sich immer wieder selbst vor der Kamera als tapferer Kämpfer für die Wahrheit inszeniert, beim Publikum nur eins: absolute Gleichgültigkeit. Denn am Schluß ist es einem völlig egal, wer hier wen warum ermordet haben soll. Daß Courtney Loves Anwälte juristisch gegen den Film vorgehen und einzelne Vorführungen auf Festivals verhinderten, erscheint überflüssig, diskreditiert sich Broomfield durch seinen billigen, pseudoauthentischen Enthüllungjournalismus doch selbst zur Genüge.

Martin Schwickert