»KUNDUN« Buddha was here
Kulturrevolution ist grausam, Buddhismus ist menschlich, und Scorsese besser als sein Ruf In der deutschen Synchronisation sprechen sie den Filmtitel Kundün aus, im chinesisch besetzten Tibet meinen sie damit: "Die Anwesenheit des Buddha". Und nennen so den höchsten weltlichen und himmlischen Würdenträger der tibetanischen Spielart des Buddhismus: den Dalai Lama. Der seit den 50er Jahren eben nicht mehr in Tibet anwesend ist, sondern im indischen Exil in Dharamsala. Gleich hinter der Grenze. In Amerika hat die Disney-Firma das Geld für den Film gegeben und war sehr überrascht, als China die Mischung aus After Midnight (Regie: Martin Scorsese), Koyaanisqatsi (Musik: Philip Glass) und E.T. (Drehbuch: Melissa Mathison) für eine Einmischung in innere Angelegenheiten hielt. Und die Berlinale vorab ein Ansichtsexemplar verlangte. Das gab es nicht, die internationale Resonanz war zurückhaltend ("wichtig, aber zu lang"), aber die Sache des Mitgefühls (die Lamas teilen sich die Aspekte des Göttlichen auf: der Panchen Lama etwa ist für Politik zuständig und kommt gar nicht vor) wird von Kundun besser vertreten als von den thematisch ähnlichen Red Corner (Richard Gere leidet am Kommunismus) oder Sieben Jahre in Tibet (Brad Pitt gibt dem Buddhismus ein westliches Antlitz). Martin Scorsese nämlich versucht, oft gegen das Buch, aus biographischem und fiktivem Material eine Art Mandala zu erzeugen, ein meditatives Sandbild aus Filmbildern. Das ist streng komponiert, aber es bildet nicht eigentlich ab. Gleich vier Darsteller etwa stehen für Abschnitte in den ersten 24 Jahren des 14. Dalai Lama - von der Entdeckung als "Reinkarnation" seines Vorgängers bis zur Flucht nach Indien. Aber manchmal scheinen alle Verkörperungen zugleich anwesend zu sein. Oder historische Personen: manche werden ausgeblendet (ein älterer Bruder etwa, der von allen ums Dach der Welt ringenden Mächten als Spion der jeweils anderen verdächtigt wurde), manche stehen ohne Text am Bildrand, manche haben große Auftritte im seltsam luftleeren Raum (Mao etwa, der wie ein Clown in einem Schattenspiel wirkt). Weltlich wichtige Fakten, wenige, werden nur in hölzernen Dialogen nachgeliefert (z.B.: es gab vor dem Einmarsch der Chinesen tatsächlich eine Art Bürgerkrieg), vermeintlich geistliche Kernsätze verwackeln zwischen Bonmot und Kitsch ("Tibet braucht keine Volksbefreiungsarmee, Tibet kann sich nur selbst befreien"). Viel lieber inszeniert Scorsese Blicke, Gesten und Handlungen als Gleichnisse. Am Rande eindeutig (immer wieder kauft der Dalai Lama vorbeiziehende Schafherden, um sie vor der Schlachtbank zu retten), im Kern rätselhaft (immer wieder betrachtet er mit absichtslosem Interesse Dinge, meistens Schuhe). Und in den besten Passagen zeigt Scorsese, und führt zugleich in der wie ein Clip auf Glass' Musik geschnittenen Art des Zeigens vor, daß das Wichtigste an einem Mandala seine Erstellung ist - und seine Zerstörung. Daß man sich ein Bild machen muß - und daß man nicht daran festhalten darf. Wer vorher nichts über Tibet wußte, weiß nach Kundun nur, daß es etwas zu wissen gibt. Wer vorher schon viel wußte, ahnt anschließend, daß Wissen nicht reicht. Kundun reicht auch nicht, aber Kundun weiß das.
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