DIE EINSAMKEIT DER KROKODILE

Schweinemast und Seelentief

Neues vom Lande

Der Titel führt in die Irre. In Jobst Oetzmanns Kinodebüt geht es zwar viel um Einsamkeit, aber gar nicht um Krokodile. Eher um Schweine und den Umgang der Menschen mit ihnen. Und darum, was dieser Umgang aus den Menschen macht. Im Zeichen von MKS und BSE also irgendwie ein hochaktuelles Thema.
Günther (Thomas Schmauser) ist ein Metzgersohn in einem verlassenen Kaff in Ostwestfalen. Schon als Baby hockt er im Kindersitz zwischen aufgeschlitzten Schweinehälften und spielt mit umgekippten Bluteimern. Günther ist hochintelligent, musikalisch begabt und ein bekennender Karl May-Spezialist. Die Eltern sind stolz auf ihn, auch wenn sie immer weniger verstehen, was in seinem Kopf vorgeht. Dass der erwachsene Sohn plötzlich kein Fleisch mehr essen will und den Club der fahrradenthusiastischen Schweinemasttouristiker gründet, macht den Familienskandal perfekt.
Wenn der Film beginnt, ist Günther schon längst tot. Mordselbstmord sagt sein einziger Freund, der minderbemittelte Stallbursche Roland (Arndt Schwering-Sohnrey). Der Amateurjournalist Elias (Janek Rieke) reist aus Hamburg an, um dem Tod seines Cousins nachzugehen. Aber niemand im Dorf will über den verrückten Günther sprechen. Die Eltern werfen Elias aus dem Laden. Die ehemaligen Schulkameraden machen den Schnüffler am Rande des Feuerwehrfestes fertig. Nur die schöne Wirtin Heike (Julia Jäger) kümmert sich um den Fremden. Schnell spürt der schüchterne Elias, was es heißt, in diesem Dorf ein Außenseiter zu sein. Häppchenweise entschlüsselt Regisseur Oetzmann in einer Rückblendendramaturgie das Schicksal des sensiblen Wunderknaben, der an seiner fantasielosen Umgebung zerbricht. Allzu simpel ist dabei die didaktische Denkweise des Films ausgefallen. Auf der einen Seite steht der kauzige Günther, an dessen Macken und Marotten das Publikum umsichtig herangeführt wird. Auf der anderen Seite die böse, feindliche Umwelt. Der Vater (Ernst Stötzner): ein abgestumpfter Schweinezerteiler. Die Mutter (Renate Krössner): eine gefühlskalte Glucke. Die Mitschüler: brutale Spießgesellen. Personenklischees hängen hier so zahlreich herum wie die Schweinehälften im Kühlraum. Die Dorfgesellschaft, die Günther in den Selbstmord treibt, entspricht allen Lynchjustizfantasien, die Großstädter bei Ausflügen in ländliche Gefilde überkommt.
Oetzmann sucht für seine Geschichte vergeblich nach dem richtigen Ton. Seichte Vorabendserienmusik wird grotesken Szenen aus dem Schweinemastwesen entgegengesetzt. Aber Tragikomik lässt sich nicht im Additionverfahren herstellen, sondern entsteht durch einen differenzierten Zugang zu den Figuren, den Oetzmanns misslungenes Kinodebüt einfach nicht finden will.

Martin Schwickert

D 2001 R: Jobst Oetzmann B: Jobst Oetzmann nach dem gleichnamigen Roman von Dirk Kurbjuweit K: Hanno Lentz D: Thomas Schmauser, Janek Rieke, Julia Jäger