»KNUTSCHEN KUSCHELN JUBILIEREN«

Fünf Freunde

Eigentlich sind es doch eher 6 Eingeschlechtler


Das Interview zum Film

Neuerdings erfährt der Dokumentarfilm eine längst verdiente Wiederentdeckung. Vor allem waren es oft kleine, aber sehr feine Dokumentarfilmproduktionen, die weit weg von den hochbudgetierten Spielfilmen neue, wichtige Tendenzen aufdeckten und oft unbeliebte Themen anpackten. Der neue Film des Allroundtalents Peter Kern entführt uns in eine auf den ersten Blick nicht unbedingt spannende Kulisse einer Düsseldorfer Kneipe, deren Hauptkunden ältere Homosexuelle sind. Knutschen Kuscheln Jubilieren erzählt von sechs alten, einsamen Homosexuellen, die - ohne familiäre Bindungen - wahrscheinlich längst nur noch in ihren Wohnungen dahinvegetieren würden, hätten sie nicht einen gemeinsamen Treffpunkt gefunden. In behutsamen, dabei immer leichtfüßigen Bildern begleitet Peter Kern mit seinem Kameramann Sven Kierst diese Menschen, die ihr Leben um die Kneipe "Le Clou" herum organisiert haben.
Da ist zum einen Udo Jermann, besser bekannt als Mutter Colonia, einer der wenigen Menschen in Düsseldorf, die nicht dafür verkloppt werden, lauthals Köln-Lieder zu singen. Da sein großes Vorbild der Kardinal Frings ist, kommt es schon mal vor, daß Udo christlich bekleidet auch seinen Schäfchen einen Handkuß abverlangt. Immer total pleite, schnorrt er sich durchs Leben, investiert die paar Mark aus kleinen Aushilfsjobs gleich wieder ins Jubilieren, denn das ist für ihn nunmal das Wichtigste auf der Welt.
Sein guter Sauf- und Feierkompagnon ist Ronald Wanoski, der sich für Nancy und Ronald Reagan gleichzeitig hält. Er benötigt Aufmerksamkeit und das Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen, seine Freunde haben sich inzwischen daran gewöhnt. Einer von ihnen, Peter Jansen aka Charlotte, war früher einmal Verwaltungsbeamter, dann rutschte er eine zeitlang in die kriminelle Szene, erst als Kellner im "Le Clou" fand er wieder Halt.
Auch die anderen drei aus der Clique hatten kein leichtes Leben und sind dankbar, sich gegenseitig und die Kneipe als Mittelpunkt ihres Lebens zu haben. Als plötzlich Charlotte eine Reise nach Venedig gewinnt, wird die Kamera kurzerhand eingepackt, und wir begleiten unsere fünf Freunde (einer mußte schließlich noch die Kneipe hüten) durch die Kanalstadt. Eine Reminiszenz an Tod in Venedig stellt eine der schönsten Szenen des Films dar, mit einer überaus lebensbejahenden Aussage.
Inzwischen ist der Zuschauer längst den Macken und Eigenheiten dieser (Anti-)Helden verfallen und empfindet es als Verlust guter Freunde, wenn das Licht im Kinosaal wieder angeht.

Nikolaj Nikitin