DON'T COME KNOCKING
Auf der Suche Wim Wenders nähert sich den USA wieder versöhnlichEin Mann muss tun, was ein Mann tun muss" - ein fest verankerter Satz im amerikanischen Bewusstsein. Viele Western erzählen davon, und einige Regisseure aus dem alten Europa haben das gern aufgegriffen.
Wim Wenders, der das amerikanische Kino so liebt, realisierte ein Drehbuch von Sam Shepard für seine Vision eines Mannes, der mit der Gegenwart bricht, um sich über eine Rückkehr in die Vergangenheit wenigstens einen Hauch von Zukunft zu sichern.
"Wo ist Howard?" Die Aufregung beim Drehteam ist verständlich, denn Hauptdarsteller Howard Spence ist heute morgen nicht zum Dreh erschienen und bleibt verschwunden. Howard ist noch nicht tot, was ihn selbst am meisten verwundert nach den Exzessen mit Sex, Alkohol und Kokain. Und deshalb soll nun einiges anders werden, vielleicht.
Erst mal verschafft sich Howard neue Klamotten und ein Busticket zu seiner Mutter. Wenn kein Unterschlupf mehr bleibt, muss ein Mann eben zurück in die Kinderstube. Ähnliche Überlegungen treiben auch einen Mann namens Sutter (Tim Roth, ganz cool mit Krawatte und Jackett selbst unter heißester Sonne) voran. Er soll Howard für die Filmfirma ausfindig machen und zurückbringen. Aber Howard bleibt nicht lange zu Hause. Er zieht weiter Richtung Norden, nach Montana, wo eine Kellnerin lebt, die Doreen (Jessica Lange mit gewohnt intensivem over-acting) heißt und die die Mutter eines Sohnes ist, den er nie kennengelernt hat. Howard ahnt nicht, dass ihm dabei noch eine ganz andere brisante Begegnung bevorstehen wird.
Ein Mann allein in der Wüste - ganz unbekannt ist dieses Bild nicht. 1984 hat Wim Wenders schon einmal den Mythos von gesuchter Einsamkeit und diffuser Entschlossenheit zelebriert, als er Harry Dean Stanton durchs Land schickte auf dem Weg zur Begegnung mit seiner Tochter, die damals von Nastassia Kinski gespielt wurde. Paris, Texas hieß der Film, eine Ode an die Kraft der Versöhnung und die Schönheit des Landes, das einst Heimat des Western war. Das Drehbuch stammte von Sam Shepard, der als Schauspieler wie kein Zweiter das Urbild des melancholisch umflorten US-Machismo von der schlaksigen Gestalt verkörpern kann. Ein Kater auf heißem Blechdach.
Zwanzig Jahre danach haben sich Wenders und Shepard erneut zusammen getan. Die Ähnlichkeiten fallen ins Auge, obwohl Howard Spence ein ganz anderer Typ ist als jener Travis Henderson aus Paris, Texas; ungestümer, aufbrausender, in der Summe kindischer, aber nicht weniger beseelt vom Wunsch nach Erlösung. Diesmal spielt Shepard selbst die Hauptrolle, was gleich ein paar Kinopunkte extra einbringt. Shepards Lakonie in Cowboy-Hut und Stiefeln vermittelt jenes Flair von Gary Cooper und Henry Fonda, aus dem das klassische Hollywood-Kino seine Legenden züchtete. Der Unterschied liegt in den Temperamenten. Shepard, der Schriftsteller, sieht sich als Erben von Tennessee Williams und John Steinbeck, mit noch mehr Hitze im Wort und absolut humorfrei. Zugleich hält er den Story-Ball flach zu Gunsten eines ausgeprägten psychologischen Feinschliffs, wozu Wenders dann Bilder liefert von überwältigender Beschaulichkeit. Das Blau des Himmels, die Weite des Landes, die Gesichter im inneren Zwiespalt, das alles sieht aufregend gut aus, vor allem in Cinemascope. Als Bildband, das Drehbuch illustrierend, wäre das eine Klasse für sich. Als Film dagegen macht sich recht bald ein gewisser Mangel an Tempo und Dynamik breit.
Zwei Stunden dauert der Film und er lässt das den Zuschauer spüren. Wer dafür in der richtigen Stimmung ist, erlebt ein Kino, das es so schon länger nicht mehr gegeben hat. Er wird sogar unerwartete Anflüge von Humor in Wenders' Regie erkennen. Er wird den Film des Jahres erleben. Andere werden lediglich konstatieren, dass die Geschichte auch in einer halben Stunde hätte erzählt werden können. Die Wahrheit findet sich auf beiden Seiten des Spektrums. Es hilft, wenn man das vorher weiß.
Uwe Mies
USA 2005. R: Wim Wenders. B: Sam Shepard, Wim Wenders. K: Franz Lustig. D: Sam Shepard, Jessica Lange, Tim Roth
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