Kleine wahre Lügen

Thirtysomething

Gern genommen: Eine Zwischenbilanz mit 30, diesmal mit französischem Flair

Es ist Sommer in Paris. Die Ferien stehen vor der Tür. Alle wollen raus aus der Stadt, ans Meer, in die Berge, aufs Land. Auf dem Gehsteig vor dem Krankenhaus stehen ein paar Freunde und diskutieren, ob man an den gemeinsamen Urlaubsplänen noch festhalten soll, nachdem ihr gemeinsamer Freund Ludo mit dem Motorroller verunglückt ist und oben im Hospital auf der Intensivstation liegt. Ein paar bewegte Worte, ein paar Tränen, dann beschwichtigen die vermeintlich vernünftigen Argumente die erhitzte Debatte. Einvernehmlich wird der Urlaub auf zwei Wochen gekürzt und schon geht es auf Richtung Süden zum malerischen Cap Ferret, wo Max (François Cluzet) ein großzügiges Ferienanwesen besitzt, in das der erfolgreiche Restaurant-Besitzer seine Freunde jedes Jahr für ein paar Sommerwochen einlädt.

Richtig entspannen kann sich der Geschäftsmann im Urlaub jedoch nicht, zumal ihm kurz zuvor sein bester Freund Vincent (Benoît Magimel) gestanden hat, dass er sich in ihn verliebt hat. "Ich bin der Patenonkel deiner Kinder" hat Max entrüstet geantwortet und wird nun im Urlaub, zu dem auch Vincent samt Familie angereist ist, von homophoben Phantasien geplagt.

Auch von den anderen Mitreisenden hat jeder sein Päckchen mit in die Ferien gebracht. Der Schauspieler Éric (Gilles Lelouche) nimmt zwar seine gewohnte Rolle als Gruppenclown wahr, fürchtet aber, dass seine Lebensgefährtin nicht in den Urlaub nachkommt, weil sie genug hat von den ständigen Affären des notorischen Frauenaufreißers. Als weinerliches Trennungsopfer nervt Antoine (Laurent Lafitte) seine Freunde. Die Ethnologin Marie (Marion Cotillard) wird bald wieder in den Amazonas aufbrechen und lässt in ihrem wechselhaften Liebesleben keine festen Bindungen zu.

Die Probleme der Mittdreißiger, die sich in ihrem Leben eingerichtet haben, ohne sich wirklich wohl darin zu fühlen, würden vielleicht für zwei kurze Ferienwochen bei Sonne, Meer, gutem Essen und reichlich Wein freudvoll verdrängt werden. Aber der Unfall Ludos hat unterbewusst auch die Freunde aus der Umlaufbahn geworfen und lässt sie die eigenen Parameter noch einmal überprüfen.

Mit Kleine wahre Lügen hat der Schauspieler und Regisseur Guillaume Canet einen typisch französischen Freundschaftsreigen entworfen, in dem vor der idyllischen Ferienkulisse die Beziehungssuppe kräftig zu köcheln beginnt. Dabei kippt das Gruppenporträt nicht in die Gefilde des Psychodramas, sondern hält erfolgreich die Balance zwischen sanfter Komik und überschaubarer Tragik.

Ein wenig Frankophilie sollte man schon mit ins Kino bringen, denn die etwas überdimensionierten 154 Kinominuten atmen ein gerüttelt Maß an französischem Lebensgefühl, wo gesellschaftliche Etablierung und in den Tag hinein zu leben weniger als Widerspruch empfunden wird. Mit zarter Ironie betrachtet der Film die ums eigene Ego kreisenden Figuren, ohne sie für eine Hand voll Pointen ans Messer zu liefern.

Martin Schwickert

Les petits mouchoirs R&B: Guillaume Canet K: Christophe Offenstein D: François Cluzet, Benoît Magimel, Marion Cotillard