KILLING ME SOFTLY Sex bis zum Abwinken
Heather Graham fällt einem Wüstling in die Hände So was gibt es einfach nur im Film: Großstadt. Verkehrsgetöse. Zwei Hände berühren sich kurz beim gleichzeitigen Bedienen der Fußgängerampel. Die Blicke eines strahlend blauen und eines tiefbraunen Augenpaares saugen sich aneinander fest, und schon ist alles zu spät. Liebe auf den ersten Blick gefolgt von wilder Leidenschaft - das volle Programm. Als die Amerikanerin Alice (Heather Graham) an besagter Londoner Straßenkreuzung auf den undurchsichtigen Bergsteiger Adam (Joseph Fiennes) stößt, verlässt sie ihren langjährigen Langweiler und heiratet den sexstrotzenden Abenteurer. Die Hochzeitsnacht wird stilgerecht nach zwölfstündigem Dauermarsch in einer kerzenbeschienenen Berghütte ausgetragen. Schon hier beginnen die ersten Würgespielchen, aber Alice genießt den ekstatischen Verlust der Kontrolle. Dann kommen anonyme Briefe ins Haus geflattert, die Alice vor ihrem gewalttätigen Ehemann warnen. Der impulsive Göttergatte hüllt seine Vergangenheit in Schweigen. Langsam verdichtet sich der Verdacht, dass Adams frühere Geliebte keines natürlichen Todes gestorben ist. Der preisgekrönte chinesische Regisseur Chen Kaige ( Lebewohl, meine Konkubine ) hat sich für seine erste Regiearbeit im westlichen Ausland ausgerechnet einen Erotikthriller ausgesucht. Nun liegen Leidenschaft und Lächerlichkeit auf der Leinwand immer nah beieinander. Da macht auch Chen Kaige keine Ausnahme. Offensichtlich genießt der chinesische Monumentalfilmer die Möglichkeit, abseits der heimischen Zensur einmal sexszenenmäßig richtig zulangen zu können. Mit Zeitlupe und kunstvollen Überblendtechniken setzt er die sadomasochistische Seidenschalwürgeerotik der einander Verfallenen in Szene. Da kichern nicht nur die Teenager im Publikum. Was Killing Me Softly von einem ordinären PRO7-Erotikthriller unterscheidet, ist die solide handwerkliche Umsetzung, die dafür sorgt, dass der Thriller-Teil in der zweiten Hälfte genug Spannung aufbaut, um das Publikum bei der Stange zu halten. Licht, Kamera und Setting sorgen für eine stimmige Atmosphäre, auch wenn die Musik nach einer Raubkopie von Basic Instinct klingt. Das Problem von Killing Me Softly ist der Stoff, der auf eine allzu traditionelle Angst- und Gewaltverteilung zwischen Männlein und Weiblein setzt. Da wird Heather Graham barfuß und im weißen Hemdchen durch die verschneiten Londoner Gassen auf die Flucht geschickt - ein Engel in dunkler Nacht, halbnackt und zerbrechlich. Joseph Fiennes hingegen ist als schwarzledriger Berg- und Sexberserker mit dauerbrunftigem Augenglanz, ein klarer Fall von düsterem Aura-Overkill. Auch wenn in der etwas trashigen Schlusswendung die Klischee-Erwartungen über den Haufen geworfen werden, ändert das an den substanziellen Schwächen der Geschichte wenig.
Martin Schwickert
GB 2001 R: Chen Kaige B: Kara Lindstrom K: Michael Coulter D: Heather Graham, Joseph Fiennes, Natascha McElhone
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