KEINE LIEDER ÜBER LIEBE
Aufregend echt Ein Filmexperiment mit GefühlWenn sich Liebespaare im Film streiten, dann schreien sich die Schauspieler mit ihren gut ausgebildeten Stimmen an, vergießen täuschend echte Glycerintränen, werfen hier und dort ein paar Requisiten gegen die Wand und sprechen in wohlformulierten Sätzen drehbuchgenau über die Gefühlslage ihrer Figur.
Unsereins hingegen, gefangen im echten Leben, druckst herum, verhaspelt sich, lässt quälende Gesprächspausen aufkommen, findet nicht die richtigen Worte und keine Stelle an der frisch gestrichenen Wand, zu der man den Aschenbecher schleudern könnte.
In Keine Lieder über Liebe hat man das Gefühl, dass die Figuren befreit von aller Drehbuchkünstlichkeit auf die gleiche Weise gefangen sind im echten Leben. Natürlich steckt dahinter eine Methode. Kraume hat zwar ein Skript geschrieben, aber es keinem der Schauspieler gezeigt. Fest standen für die Akteure nur die Charakterisierungen der Figuren und der grobe Handlungsverlauf. Und dann ging es los. Auf Tour durch Norddeutschland. Mit einer Band, die um den Schauspieler Jürgen Vogel für den Film gegründet wurde.
Keine Lieder über Liebe erzählt von zwei Brüdern. Markus (Vogel) ist Leadsänger der Hamburger Hansen-Band, Tobias angehender Filmemacher in Berlin. Seit Tobias mit seiner Freundin Ellen (Heike Makatsch) den großen Bruder besucht hat, ist irgendwie der Wurm drin. Die Liebe zu Ellen veralltäglicht zunehmend und Bruder Markus lässt nichts mehr von sich hören. Tobias hat einen Verdacht und dem geht er nach, mit der Kamera in der Hand. Unter dem Vorwand über die Hansen-Band eine Musikdokumentation drehen zu wollen, schleicht er sich in Markusī Leben ein, um herauszufinden, ob der Bruder mit Ellen eine Affäre hatte. Als Ellen selbst zur Tour dazustößt, werden die schwelenden Konflikte immer deutlicher.
Es geht um Vertrauen und Betrug, um Wahrheit und Lüge, um Konfrontation und Ausweichmechanismen. Zwanzig Stunden am Tag waren die Schauspieler unter Beobachtung. Alle Szenen wurden improvisiert. 150 Stunden Material hat Kraume zu einer spannenden Beziehungsstudie montiert, die durch die Konzertmitschnitte aufgelockert wird.
Das Experiment, dem sich die Schauspieler ausgesetzt haben, funktioniert. Auf der Leinwand breiten sich die Gefühle der Figuren in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit aus. Sie kämpfen mit ihren Schwächen, weichen aus und packen nur zögernd die Karten auf den Tisch. Jürgen Vogel, Florian Lukas und vor allem Heike Makatsch scheinen all ihre schauspielerischen Schutzschilder abzuwerfen und kämpfen erfolgreich um die emotionale Authentizität ihrer Figuren.
Kein Lieder über Liebe ist ein kleiner, großartiger Film mit Mängeln und Fehlern, einem Schluss, der kein Ende finden will, allzu wackeliger Digitalkamera, aber in seiner Unvollkommenheit mehr wert als die hochsubventionierte Kompromissware, die das deutsche Kino gewöhnlich hervorbringt.
Martin Schwickert
D 2005 R&B: Lars Kraume K: Sonja Rom D: Florian Lukas, Jürgen Vogel, Heike Makatsch
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