KANACK ATTACK Loud'n'Proud Zuhälter, Dealer, Nutten - ein sympathischer Film aus dem Milieu Das Interview zum Film Staatsangehörigkeit?" fragt der abgebrühte Kommissar. "Deutsch!" antwortet Ertan Ongun mit breitem Grinsen. Sein Kumpel Kemal gibt erst einmal Indisch an, korrigiert sich dann aber auf Türkisch. Eigentlich spielt für Ertan und seine Freunde die Nationalität nur auf dem Polizeirevier eine Rolle. Ihre Eltern kamen als Gastarbeiter hierher. Sie selbst sind in Deutschland geboren und lassen sich hier von keinem etwas vormachen. Genaugenommen sind sie der Alptraum der multikulturellen Gesellschaft. Sie nennen sich stolz Kanakster. Sie sind Ganoven, Zuhälter, Junkies, Dealer. Sie sind der Abschaum, so zumindest heißt Feridun Zaimoglus Roman, der dem Film zugrunde liegt. Der Kieler Autor hat die gelebten Storys des Ertan Ongun protokolliert und mit seiner direkten unverblümten Sprache deutsche Feuilletonisten in Erregung versetzt. Dieser Film erzählt keine Geschichte, sondern einen Zustand, einen Ausnahmezustand, so lässt uns Ertan (Luk Piyes) gleich zu Anfang aus dem Off wissen. In Episoden führt er uns durch sein Kanakster-Leben. Zwei befreundete Nutten wollen ihn als Zuhälter anwerben. Ertan lehnt dankend ab und legt sich trotzdem mit dem lokalen Rotlicht-Matador an. Mit einem Kollegen in der Türkei baut er eine florierende Drogenbrücke auf, und auch Ertan nimmt Heroin in allen Aggregatszuständen zu sich. Völlig bedröhnt raubt er mit Kumpel Kemal (David Scheller) den Spielsalon auf der anderen Straßenseite aus. Die Urinprobe auf dem Polizeirevier sorgt für einen Freispruch wegen Unzurechnungsfähigkeit. Ein Kilo Stoff unter dem Fensterbrett bringt ihn später trotzdem in den Knast, aber da herrscht auch nur ein anderer Ausnahmezustand. Lars Beckers Kanak Attack distanziert sich demonstrativ vom deutschen Sozialarbeiterkino und vermeidet jeden mitleidigen Unterton, mit dem so oft vom schweren Leben herzensguter Döner-Angestellter berichtet wird. Statt dessen studiert der Film das Selbstbewusstsein und den kriminellen Lebensstil der Kanakster. Kanak Attack lebt vom Rhythmus. Vom Rhythmus der Sprache, der Musik, der Bilder und des Lebens auf der Straße. Ertan und seine Kumpels lassen kaum eine kriminelle Gelegenheit aus und sind gerade in ihren Macho-Allüren so unglaublich sympathisch. Die jungen Schauspieler, allen voran Luk Piyes als Ertan, wickeln das Publikum lässig um den Finger. Zuhälter, Dealer, Nutten und Junkies - auch hinter diesen Stereotypen verbergen sich entdeckenswerte Charaktere und die wahrhaftigsten Figuren, die seit langem in einem deutschen Film zu sehen waren. Die Sprache und der Rhythmus von Kanak Attack erinnern manchmal an Trainspotting oder Pulp Fiction, ohne dass Becker dem modischen Heroin-Chic dieser Filme verfällt. Kanak Attack beschönigt nichts. Aber er mag die Menschen, die in diesem Ausnahmezustand leben, und verleiht ihnen auf sehr unterhaltsame Art Stimme und Gehör. Martin Schwickert Kanak Attack D 2000 R: Lars Becker DB: Feridun Zaimoglu, Bernhard Wutka, Lars Becker K: Hannes Hubach D: Luk Piyes, David Scheller, Tyron Ricketts 84'
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