»DIE KAMMER«

Opa in der Zelle

Gene Hackman als alter Rassist ist der einzige Lichtblick in diesem abgeschmackten Justiz-Thriller

Gleich zweimal beschäftigte sich das Hollywood-Kino im letzten Geschäftsjahr mit dem Thema Todesstrafe. Was in Dead Man Walking noch ergreifend war, wurde schon in Last Dance zum müden Abklatsch. Auch wenn man eigentlich schon genug prominente Stars effektvoll in den US-Hinrichtungstrakts hat sterben sehen, macht sich Regisseur James Fooley mit Die Kammer daran, das brisante politische Thema endgültig zu Tode zu reiten. Der knappe Titel läßt unschwer erkennen, wer hier die Romanvorlage geliefert hat. John Grishams Bestseller Die Firma , Die Akte , Der Klient und Die Jury gelangten allesamt in die Kinocharts. Grisham umgibt sich gerne mit der Aura politischer Brisanz, und er hat die kommerzielle Ausbeutung politisch korrekter Themen nicht ohne Erfolg perfektioniert.
Auch Die Kammer folgt der üblichen Countdown-Dramaturgie der vorhergehenden Todeszellen-Filme. In 28 Tagen soll Klu-Klux-Klan Aktivist Sam Cayhall (Gene Hackman) in einer Gaskammer des US-Bundesstaates Mississippi hingerichtet werden. Er wird für einen Bombenanschlag im Jahre 1967 verantwortlich gemacht, bei dem zwei Kinder ermordet wurden. Der junge, unerfahrene Anwalt Adam Hall (Chris O'Donnel) macht sich daran, die Vollstreckung des Urteils auf juristischem Wege zu verhindern. Dabei gräbt der hochmotivierte Jungadvokat nicht nur in Gerichtsakten, sondern auch in der eigenen Familiengeschichte. Denn der Todeskandidat ist sein Großvater. Der Enkel glaubt fest an Opas Unschuld und daß der alte Cayhall die eigentlichen Drahtzieher aus Loyalität und Angst gegenüber dem allmächtigen Klu-Kux-Klan deckt. Und so pendelt der Film unbeholfen zwischen juristischem Enthüllungsdrama, Gerichtsfilm und Familientherapie hin und her. Für Spannung sollen die Ermittlungen sorgen: verbotenes nächtliches Stöbern in geheimen Archiven, Verwicklungen auf höchster Ebene, ein undurchsichtiger Gouverneur und schließlich tätliche Auseinandersetzungen mit den Schlägertrupps des Klu-Kux-Klan. Derweil arbeiten der liberale Enkelsohn Adam und sein rassistischer Großvater in langen Zellengesprächen an der generationsübergreifenden Versöhnung. Während Gene Hackman sich nicht ohne Erfolg bemüht, ein differenziertes Bild eines gealterten rassistischen Gewalttäters abzuliefern, irrt die Kamera hilflos auf dem Milchgesicht von Chris O'Donnel umher - auf der verzweifelten Suche nach einem aussagekräftigen Gesichtsausdruck. Die Tage vergehen, der Tod rückt näher und treibt die beiden einander erwartungsgemäß in die Arme. Familienkino mit Todeszellenkulisse. In Die Kammer geht es nicht um Rassismus und auch nicht um die Todesstrafe. Vielmehr dient die abgeschmackte Hinrichtungsdramaturgie einzig und allein als Rettungsvehikel für den höchsten aller amerikanischen Werte: die Familie. Alles andere ist verzichtbares Beiwerk und politisch korrekte Koketterie.

Martin Schwickert