JUNO

Abgeklärt

Hier gab's Zurecht einen Drehbuch-Oscar: Diablo Cody schrieb für Ellen Page eine Mädchenrolle, wie man sie selten sieht

Mit einem Zwei-Liter-Kanister Multi-Vitamin-Saft schleicht Juno (Ellen Page) unglücklich vor der Tankstelle auf und ab. Das Zeug ist harntreibend. Ideal für Schwangerschaftstests, von denen Juno auf der Tankstellentoilette schon ein halbes Dutzend mit schockierend positivem Ergebnis eingefärbt hat.

Juno ist 16. Eigentlich wollte sie mit Paulie Bleeker (Michael Cera) an dem betreffenden Abend im Fernsehen "Blair Witch Project" anschauen. Statt dessen hatte sie Sex und landet nun nach dem ersten Selbstversuch in einem ganz anderen Horrorszenario.

Juno ist kein Teenie, wie man sie sonst aus dem Kino kennt. Hysterie ist ihre Sache nicht. Sie schaut der Angelegenheit mit einer Mischung aus kindlicher Neugier und jugendlicher Abgeklärtheit direkt ins Auge.

Sogar für ihre Eltern findet sie sarkastisch tröstende Worte. Sie macht einen Termin in einer Abtreibungsklinik. Eine Mitschülerin verteilt davor Flugblätter und ruft ihr hinterher: "Wusstest du, dass ein Fötus schon Fingernägel hat?" Dann sieht Juno im Wartezimmer all die Frauen, die nervös an ihren Fingernägeln knabbern, und macht auf dem Absatz kehrt. Sie weiß, dass sie zu jung ist, um Mutter zu werden, und will das Kind nach der Geburt zur Adoption freigeben.

In einem Anzeigenblatt direkt neben den Verkaufsannoncen für tropische Vögel findet sie mit ihrer Freundin die Adoptionsgesuche. Die Wahl fällt auf Vanessa (Jennifer Garner) und Mark (Jason Bateman), ein gut betuchtes Paar in den Dreißigern, dem zur Vervollständigung des Eheglücks nur noch ein Kind zu fehlen scheint.

Juno besucht die beiden immer wieder und freundet sich ein wenig mit Mark an, der immer noch heimlich davon träumt, Rockstar zu werden anstatt Jingles für die Werbung zu komponieren. Während Vanessa sich nach dem Mutterglück verzehrt, scheint Mark für das Familienvater-Dasein noch nicht reif zu sein.

Jason Reitmans Juno ist ein kleiner Diamant, der mit viel Liebe geschliffen und poliert wurde.

Vollkommen verdient hat Diablo Cody ihren Oscar für das beste Drehbuch. Ihre Dialoge sind urkomisch, bissig und wunderbar doppelbödig.

Mit Juno entwirft sie eine Mädchenfigur, wie man sie noch nie im Kino gesehen hat. Schlagfertig, unbestechlich und den Erwachsenen oft überlegen, wandelt dieser Teenager durch das Krisenszenario und erkennt in den Schwächen der Erwachsenen die Stärken der eigenen Jugendexistenz. Juno ist keiner dieser Coming-of-Age-Filme, die die Welt der Erwachsenen diffamieren, um die moralische Überlegenheit der Jugend zu feiern. Reitman und Cody zeichnen die Schwächen der Erwachsenen mit liebevoller Unbarmherzigkeit, ohne den Charakteren ihren Bewegungsspielraum zu nehmen. Die Schauspieler bedanken sich für die differenzierte Figurenzeichnungen mit Bestleistungen bis in die kleinsten Nebenrollen hinein.

Absolut umwerfend ist jedoch die junge Ellen Page in der Titelrolle. Gerade einmal zwanzig Jahre ist sie alt und entwickelt auf der Leinwand eine absolut unerschütterliche schauspielerische Präsenz.

Würde die Academy nicht traditionell ihre Darsteller-Preise an "Overactors" vergeben - Ellen Page wäre der Oscar sicher gewesen.

Martin Schwickert

USA 2007 R: Jason Reitman B: Diablo Cody K: Eric Steelberg D: Ellen Page, Michael Cera, Jennifer Garner, Jason Bateman


Das Interview zum Film