Der Junge mit dem Fahrrad Mit Kühle Ein neue Film der erstaunlichen Dardenne-Brüder Wie viel Kraft und Energie in Wut steckt, kann man an dem zwölfjährigen Cyril (Thomas Doret) genau studieren. Wie ein Feuerwerkskörper zischt der Junge davon, wenn ihm etwas nicht passt. Uneinholbar und mit einem festen Willen, der keine Hindernisse zulässt. Dass der Vater ihn einfach verlassen und Cyrils heiß geliebtes Fahrrad verkauft hat, will der Junge nicht glauben. Immer wieder büchst er aus, um den Vater zu suchen. Als die Erzieher ihn wieder einfangen, klammert er sich im Wartezimmer eines Arztes an eine Frau. "Du kannst mich halten, aber nicht so fest" sagt Samantha zu ihm und bringt ein paar Tage später Cyrils Fahrrad, das sie dem Nachbarn wieder abgekauft hat. Aus der zufälligen Begegnung zwischen der Friseurin und dem Jungen entsteht eine langsam wachsende Beziehung. An den Wochenenden nimmt Samantha das Heimkind bei sich auf und begleitet Cyril auf seiner Suche nach dem Vater. Mit Der Junge mit dem Fahrrad setzen die belgischen Regiegebrüder Jean-Pierre und Luc Dardenne erneut einen hochemotionalen Stoff mit poetischer Nüchternheit um. Um die Qualität des Filmes zu goutieren, muss man sich nur einmal für eine Minute vorstellen, wie Hollywood die Geschichte eines Waisenjungen, der vergeblich nach seinem Vater sucht und bei einer fremden Frau Zuflucht findet, in Szene gesetzt hätte. Die Dardennes gehen ohne jegliche Sentimentalität an ihr Sujet heran, verankern ihre Figuren ohne Elendsnaturalismus fest in den Härten der sozialen Realität und blenden deren persönliche Geschichte und psychologischen Hintergründe vollkommen aus. Es zählt nur das Hier und Jetzt, das in präzise kadrierten Bildern und knappen Dialogen zur filmischen Wirklichkeit wird. Die Friseurin ist keine Mutter Theresa, sondern hilft dem Jungen mit der gleichen Selbstverständlichkeit mit der andere Menschen am Elend vorbeigehen. Weder die Humanität ihres Handelns, das ablehnende Verhalten des überforderten Vaters, der elterlichen Verantwortung entzieht, werden moralisch kategorisiert. In dieser Haltung liegt die stille Kraft des Filmes, der seine Figuren mit Zuneigung, Respekt und ohne Mitleid behandelt. Hinzu kommen die beiden großartigen Hauptdarsteller. Der junge Thomas Doret ist das Kraftwerk des Filmes und setzt eine enorme Energie auf der Leinwand frei. Mit Cécile De France haben die Dardennes, die bisher vorwiegend mit Laiendarstellern gearbeitet haben, zum ersten Mal eine bekannte Schauspielerin unter Vertrag genommen, die vollkommen in sich ruhend den idealen Gegenpol bildet. Martin Schwickert Le gamin au velo F 2011 R&B: Jean-Pierre und Luc Dardenne K: Alain Marcoen D: Thomas Doret, Cécile De France, Jérémie Renier
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