ZEIT DER JUGEND

Flokati im Wechsel

Ivory ist endlich wieder ganz bei sich

James Ivory ( Zimmer mit Aussicht / Wiedersehen in Howards End ) ist ein besessener Literaturverfilmer, ein manischer Schönfärber und hemmungsloser Verklärer. Seine schwächsten Filme sind die, in denen er versucht, harte Konflikte in seine harmoniesüchtigen Bilderwelten einzuflechten. Zuletzt scheiterte er an der Verfilmung von Picassos Liebesleben: hoffnungslos überfordert begab er sich mit Mein Mann Picasso auf das Terrain des Geschlechterkampfes, verlief sich im Dickicht biographischer Ambivalenzen und endete in der Verklärung von Genie und Machotum des Jahrhundertkünstlers.
In Die Zeit der Jugend , nach dem Roman A Soldiers Daughter Never Cries von Kaylie Jones (1990), ist Ivory wieder in seinem Element. Hier gibt es keine tiefen Gräben, keine dramatisch unlösbaren Konflikte - nur kleine Streitigkeiten, ein wenig Schicksal und jede Menge Szenen herzergreifender Versöhnung und perfekter Harmonie. Kaylie Jones, Tochter des amerikanischen Autors James Jones (dessen Roman The Thin Red Line gerade verfilmt wurde), beschreibt in ihrem Roman die eigene Kindheit und Jugend in den 60er und 70er Jahren. Nirgendwo war man richtig zu Hause. Weder in Paris, das der Autor Bill Willis (Kris Kristofferson) für sich und seine Familie als freiwilliges Exil wählte, noch in den Weiten der US-Provinz, in die es Willis in den letzten Jahren seines Lebens zurückzieht. Überzeugend schildert Zeit der Jugend die Familie als Ort der Geborgenheit in der Fremde, wo selbst der französische Adaptivsohn Benoit (Jesse Bradford) schnell Aufnahme findet. Er und seine Schwester Channe (Leelee Sobiesky) besuchen die internationale zweisprachige Schule und bewegen sich in engen dem Kreis amerikanischer Exilanten-Kultur. In drei zeitlich versetzten Kapiteln beschreibt Zeit der Jugend die Höhen und Tiefen des Familienlebens aus der Sicht der Tochter. Dabei fließt fast unmerklich Zeitkolorit mit in die Geschichte ein. Musiklehrer geben an der Hamond-Orgel "Let it be" zum besten, Wohnungen verwandeln sich in paradiesische Landschaften aus Flokatis und Batik-Vorhängen. Dezent aber ungemein detailliert zeichnet Ausstattungsfetischist Ivory jedes Jahrzehnt mit seinen modischen Eigenheiten nach. Mit dem Ambiente wechseln auch die Wertvorstellungen, die aber, anders als etwa in Ang Lees Der Eissturm , nicht zur Zersetzung der Familienstruktur führen, sondern mit Offenheit und Toleranz absorbiert werden.
Ivory verklärt natürlich auch hier. Aber er tut es so überzeugend, daß auch ausgewiesene Feinde des Familienkinos ihm gerne auf den Leim gehen. Kris Kristofferson als integerer Vater ist eine charismatische Hauptfigur, die alle familiären Harmoniesehnsüchte in sich vereint. Einen Daddy wie ihn hätte man zweifellos gerne gehabt.
Was Zeit der Jugend vor dem Kitsch bewahrt, ist die Genauigkeit, mit der sich Ivory den Charakteren, den Höhen und Tiefen der Pubertät, den Eigenheiten der Zeit und der spezifischen Situation des Exilantendaseins widmet.

Martin Schwickert