JOHN Q.

Zuviel Herz

Denzel Washington wird aus lauter Vaterliebe zum Geiselgangster

Gerade erst ist Denzel Washington für seine Rolle als zwielichtiger Ghetto-Mephisto in Training Day mit einem Oscar ausgezeichnet worden, da kehrt er schon wieder zum integren Gutmenschentum zurück. In Nick Cassavetes John Q. spielt Washington einen einfachen Stahlarbeiter und liebenden Vater, den das amerikanische Gesundheitssystem zur Verzweiflung bringt.
Arm aber glücklich ist die dreiköpfige Familie Archibald, bis der zehnjährige Sohn Mike auf einem Baseball-Feld mit einer Herzattacke zusammenbricht. Im Krankenhaus erfahren die Eltern, dass das Herz des Jungen deformiert und eine Transplantation unumgänglich ist. Als John die Versicherungskarte über den Tisch schiebt, muss er feststellen, dass sein Arbeitgeber, seit der Betrieb auf Kurzarbeit umgestellt ist, auch die Krankenversicherung heruntergestuft hat. Nur bis zu einem Limit von 20.000 Dollar werden die Kosten übernommen. Eine Transplantation kostet mehr als das Zehnfache und die kaltherzige Krankenhausdirektorin (Anne Heche) fordert eine Anzahlung von 75.000 Dollar.
Obwohl die Archibalds Auto, Möbel und Eheringe verkaufen und sogar Feunde, Nachbarn und Kirchengemeinde für die unschuldig in Not geratenen sammeln, kommt die geforderte Summe nicht zusammen. Als das Hospital den todkranken Jungen entlassen will, greift der verzweifelte Familienvater zur Knarre und versucht gewaltsam eine Reform des Gesundheitswesens durchzusetzen. Der Herzchirurg (James Woods) und die komplette Belegschaft der Notaufnahme werden als Gefangene genommen.
Das wohlbekannte Figurenarsenal des Geiseldramas wird aufgefahren. Draußen Schaulustige, Scharfschützen, schmierige TV-Reporter, ein hitzköpfiger Polizeipräsident (Ray Liotta) und ein besonnener Verhandlungsführer (Robert Duvall). Drinnen der übliche ethnografische US-Querschnitt: cooler schwarzer Gangster, zerstrittenes White Trash-Couple, temperamentvolle Latino-Mutter und die obligatorische Hochschwangere mit einsetzender Wehentätigkeit. Obwohl bis in die Nebenrollen hinein prominent besetzt, gelingt keiner Figur der Schritt hinaus aus der funktionalen Eindimensionalität.
John Q. ist eine lautstark vorgetragene Anklageschrift gegen das US-Gesundheitssystem, und alle Beteiligten haben sich diesem Anliegen unterzuordnen. Nick Cassavetes nutzt gnadenlos jede Gelegenheit aus, um den Betroffenheitsinput zu erhöhen bis hin zu der Forderung des Vaters, man solle sein eigenes Herz in den dahinsiechenden Körper des Sohnes einpflanzen. Wehrlos liegt der Junge zwischen all den piepsenden Geräten und Infusionsschläuchen auf der Intensivstation - ein Bild, das auch Cassavetes manipulativen Regiestil bestens beschreibt.
Sobald der Puls des Zuschauers unter die vorgeschriebene Marke absackt, werden adrenalinfördernde Szenen in Gang gesetzt. Kaum lässt der Tränenfluss nach, wird die Sentimentalitätsschraube hastig aufgedreht. Wer im Kino gerne selber fühlt, ist in John Q. verloren. Gerade die Effektivität, mit der hier die emotionale Bevormundung des Publikums betrieben wird, macht diesen Film so unsympathisch. Man heult sich die Augen aus und ärgert sich noch in gleicher Sekunde, dass man den durchsichtigen Strategien auf den Leim gegangen ist.

Martin Schwickert

USA 2002 R: Nick Cassavetes B: James Kearns K: Rogier Stoffers D: Denzel Washington, Robert Duvall, James Woods, Anne Heche