»JAKOB DER LÜGNER«

Einer mit Herz

Jurek Beckers Ghetto-Groteske im Hollywood-Format

Der internationale Erfolg von Roberto Benignis Das Leben ist schön hat den Holocaust als historische Kulisse für Tragikomödien salonfähig gemacht, und wieder einmal stolpert Hollywood ungelenk dem Trend hinterher. Jurek Beckers Roman Jakob der Lügner wurde bereits 1974 recht ordentlich in der DDR verfilmt, nun wärmt Regisseur Peter Kassovitz die Geschichte noch einmal für den internationalen Markt auf.
Robin Williams spielt den arglosen Juden Jakob, der in einem polnischen Ghetto zum Helden wieder Willen wird. Zufällig schnappt er im Büro eines SS-Offiziers eine Radiomeldung auf, aus der hervorgeht, dass die russische Armee nur wenige hundert Kilometer entfernt den deutschen Truppen schwere Verluste zufügt. Zeitungen und Radios sind innerhalb des Ghettos strengstens verboten, die Bewohner sind schon seit Jahren vom Weltkriegsgeschehen abgeschnitten. Obwohl Jakob versucht die lebensgefährdende Information geheimzuhalten, spricht sich die frohe Botschaft wie ein Lauffeuer herum. Alle im Ghetto sind davon überzeugt, dass Jakob im Besitz eines verbotenen Radiogerätes ist. Obwohl täglich Deportationszüge nach Auschwitz vorbeiziehen, schöpfen die Bewohner wieder Hoffnung. Die Selbstmordrate sinkt, junge Verliebte denken ans Heiraten, und Jakob sieht sich genötigt, immer neue gute Nachrichten zu erfinden. Der harmlose Pfannkuchenbäcker wird zum Helden und Hoffnungsträger des Ghettos, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die SS Verdacht schöpft.
Regisseur Peter Kassovitz hat Jurek Beckers humorvollen und feinsinnigen Roman brachial ins sentimentale Hollywoodformat übersetzt. Dem Biorhythmus des durchschnittlichen Weltkinokonsumenten behutsam angepasst, wechseln ernste und lustige Szenen einander ab. Ein kleines Mädchen (Hannah Taylor Gordon), das Jakob auf dem Dachboden versteckt, sorgt mit traurigen Augen für das nötige Sentiment, und ein tollpatschiger junger Boxer (Liev Schreiber) stolpert wie im Kasperletheater durch die naturalistisch nachgestellte Ghettokulisse. Wenn das Leben hinter dem Stacheldraht allzu düster wird, werden schnell ein paar jiddische Humoreinlagen und ein bisschen Anatevka-Melancholie als Verdauungshilfe gereicht. Der allgegenwärtige Soundtrack von Edward Shearmur sekundiert dabei penetrant aus dem Off. Fröhliche Klezmer-Klänge und herzzerreißende Violin-Einlagen geben immer vor, was genau man jetzt als Zuschauer zu fühlen hat. Hochkarätige Schauspieler wie Armin Müller-Stahl und Alan Arkin kämpfen vergeblich gegen Kassovitz' seichten Inszenierungsstil an, und Robin Williams spielt wie immer Robin Williams. An dem gutmütigen Kerl, der das Herz am rechten Fleck, immer ein Lächeln auf den Lippen und eine Träne im Knopfloch hat, konnte man sich schon in Filmen wie Good Will Hunting und Patch Adams gründlich satt sehen.

Martin Schwickert