IT'S A FREE WORLD Ohne Skrupel Der Altlinke Ken Loach beschreibt den Verlust aller Skrupel im System auf sinnfällige Weise Zehn Jobs in sechs Jahren - Angie (Kierston Wareing) hat die Nase voll davon, für viel zu wenig Geld viel zu hart arbeiten zu müssen. Als sie ihren Job in einer Personalvermittlung verliert, die Arbeitskräfte aus Osteuropa rekrutiert, beschließt die alleinerziehende Mutter gemeinsam mit ihrer Freundin Rose (Juliet Ellis), selbst eine Agentur zu gründen. Im Hinterhof der Stammkneipe ist der Wartesaal für die billigen Tagelöhner aus der Ukraine, Polen, Chile oder dem Iran. In schwarzer Lederkluft fährt Angie auf dem Motorrad die heruntergekommene Fabrikhallen und Hinterhofklitschen ab. "Meine Leute machen jede Drecksarbeit" wirbt sie bei den skeptischen Firmenbesitzern für ihr Zeitarbeitsunternehmen. "Keine Papiere. Kein Job." lautet anfangs noch die Parole, mit der sie die illegalen Einwanderer wegschickt, die vor ihrem Tor anstehen. Aber schon bald gerät Angie unter Druck und nimmt es mit den gesetzlichen Vorschriften nicht so genau. Warum nicht dem iranischen Familienvater helfen, dem nach gescheitertem Asylverfahren die Abschiebung droht? Außerdem sind die illegalen Arbeiter zuverlässiger. Die Existenzangst macht sie gefügig. Angie ist keine Heilige, aber auch kein Unmensch. Die iranische Familie quartiert sie kurzerhand für ein paar Nächte in ihrem Wohnzimmer ein. In den polnischen Zeitarbeiter Karol (Leslaw Zurek) verliebt sie sich sogar ein wenig und bekommt Einblick in das unterprivilegierte Leben der Immigranten. Trotzdem bleibt für Angie Geschäft immer Geschäft, und je länger sie sich als Frau durch die männerdominierte Welt der Londoner Schattenwirtschaft bewegt, desto skrupelloser wird sie. Schließlich träumt auch sie von einem besseren Leben für sich und ihren Sohn, der bei ihren Eltern aufwächst. Das kann nicht gut gehen, denkt man immer wieder, und wartet darauf, dass die rücksichtslose Geschäftsfrau zum Zwecke moralischer Belehrung erwischt wird. Aber Angie umschifft die Klippen, und alles was sie dabei verliert, ist ihr Gewissen. Bei alledem gelingt es Regisseur Loach, seine zweifelhafte Heldin nie unsympathisch erscheinen zu lassen. Dafür sorgt Kierston Wareing, die mit agilem Charme die liebenswerten und unbarmherzigen Seiten der Figur differenziert nebeneinander stellt. Vollkommen unsentimental zeigt Loach den unabwendbaren, moralischen Verfall seiner Individualistin, ohne diese auch nur für einen Moment zu denunzieren. Gerade durch ihre ungewöhnliche Perspektive, die die Folgen des "Raubtierkapitalismus" einmal nicht aus der Sicht der Opfer, sondern einer Mittäterin erzählt, gewinnt It's a Free World seine analytische Schärfe. Denn nicht um persönliche Schuldzuweisung geht es hier, sondern um die zwangsläufigen Mechanismen eines profitsüchtigen Systems in einer vollkommen entsolidarisierten Gesellschaft. Martin Schwickert GB/I/D/F 2007 R: Ken Loach B: Paul Laverty K: Nigel Willoughby D: Kierston Wareing, Juliet Ellis, Leslaw Zurek
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