THE INVISIBLE WOMEN Große Erwartungen Ralph Fiennes wirft Charles Dickens aus dem Zug Wohlerzogene Kinder in England kennen ihren Dickens. Und heute wissen die meisten auch, was der schon zu Lebzeiten hoch berühmte Schriftsteller um jeden Preis geheim halten wollte: Nach einer fruchtbaren Ehe mit 10 Kindern trennte er sich von seiner matronenhaften Frau und leiste sich eine 12-jährige Affäre mit der jungen Schauspielerin Nelly. Ralph Fiennes inszeniert die Geschichte dieser unsichtbaren Frau mit opulenten, oscarnominierten Kostümen und einem tragischen Hang zu Regieeinfällen. Vor allem aber mit sich selbst als Dichterfürsten, der das Publikum hinreißt, gern auf soziale Missstände hinweist, zugleich aber Angst vor ehrabschneidenden Gerüchten hat. Um gleich mit einem Kunstgriff anzufangen, bettet Fiennes die ganze Geschichte rückblendend in einen Rahmen. Nelly, inzwischen eine verheiratete Mutter, inszeniert 1885 mit einer Jugendgruppe ein Stück des lange verstorbenen Dickens und erinnert sich bei den Proben daran, wie sie als junges Mädchen damals Dickens kennenlernte. Natürlich bei den Proben zu einem Theaterstück. Charles brilliert als Regisseur und Hauptdarsteller, Nelly stolpert eher durch ihren Text. Jahre vergehen, hoch geschlossen, in manierlichen Szenen. Nur hier und da deutet eine Hand auf der Schulter, eine Bemerkung der besorgten Mutter Nellys (wunderbar: Kristin Scott Thomas) an, dass da ein Verhältnis seinen Lauf nimmt. Was genau geschah, ist nicht überliefert, und die Drehbuchautorin ersetzt unmögliche Faktentreue durch symbolische Szenen. Nelly und Charles gehen sittsam spazieren, jeder in einer Fahrspur des Kutschenweges. Charles lässt den Durchgang von seinem Arbeitszimmer zum Schlafzimmer vernageln. Zutiefst beleidigt will Nelly eine Abendgesellschaft verlassen, weil die Gastgeberin nichts dabei findet, unverheiratet mit einem Mann zusammen zu leben. Charles aber charmiert sie wieder aus dem Taxi heraus ("Diese Lady geht nirgendwo hin") und sie liebt ihn doch so. Immerhin kommen hier und da Fragen der Moderne, wenn nicht gar der Emanzipation vor. Immerhin ist Nelly nicht das verführte Dummchen. Aber was es wirklich bedeutet, als unsichtbare Frau an der Seite eines Weltstars zu leben, wird auch nicht sichtbar. Den größten Teil des Zusammenlebens nämlich lässt der Film einfach weg. Schneidet etwa von einer angedeuteten Sexszene gleich zu Nellys Schwangerschaft. Er kulminiert dann in einem schrecklichen, literaturgeschichtlich gut überlieferten Zugunglück, bei dem Charles sich heldenhaft um die Verletzten kümmert, gegenüber den Behörden aber jede Beziehung zu Nelly verleugnet. Die Rückblendenkonstruktion rafft das schwierige Verhältnis ganz gut auf Momente. Das Buch hat aber zu viel damit zu tun, auch noch Bezüge zwischen Leben und Werk des Autors herzustellen und lässt dabei die unsichtbare Frau zu oft allein und sprachlos im Dekor stehen. Wing GB 2013. R: Ralph Fiennes B: Abi Morgan K: Rob Hardy D: Felicity Jones, Ralph Fiennes, Tom Hollander, Joanna Scanlan
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