Interstellar Ambition und Unendlichkeit Christopher Nolans Science Fiction-Epos ist faszinierend und einzigartig Die Welt braucht keine Ingenieure mehr. Uns sind nicht die Flugzeuge oder Fernseher ausgegangen, sondern die Lebensmittel", sagt der Schuldirektor zu dem Vater im Elterngespräch und damit steht fest, dass aus dem Sohn trotz guter Noten nur ein Farmer werden wird. Es ist eine Welt ohne Ambition, die Christopher Nolan in seinem Science-Fiction-Epos Interstellar entwirft. Das Amerika dieser düsteren Zukunftsvision ist ein riesiger Agrarstaat, der sich allein der Nahrungsmittelproduktion widmet. Die Hochtechnologie der vergangenen Ära schwebt nur noch in Form einer verirrten Drohne über den endlosen Maisfeldern. In der Schule lernen die Kinder, dass die Mondlandung nie stattgefunden hat, sondern ein PR-Coup der Amerikaner im kalten Krieg gegen die Russen war. Die Menschen begreifen sich nur noch als Verwalter des eigenen Elends, das unaufhaltsam zunimmt. Denn nach den Okra-Plantagen und Weizenfeldern wird auch der Mais als letzte Nahrungsquelle des Menschen dem Mehltau und den Staubstürmen zum Opfer fallen. Cooper (Matthew McConaughey) ist ein Typ, der sich mit dem gesamtgesellschaftlichen Fatalismus nicht abfinden kann. Bevor er auf Mähdrescher umschulen musste, war der verwitwete Vater zweier Kinder Testpilot bei der NASA. Mit seiner Tochter Murphy (Mackenzie Foy) entdeckt er auf einem abgelegenen Gelände eine Forschungsstation seines früheren Arbeitgebers. Die NASA ist in den Untergrund gegangen und sucht nach Auswegen aus der Krise. Ein Wurmloch neben dem Saturn ist das Tor zu einer anderen Galaxie, in der es möglicherweise einen Himmelskörper gibt, auf dem die Menschheit eine neue Heimat finden könnte. Cooper wird angeheuert, um mit einem Team die Lage auf drei infrage kommenden Planeten zu sondieren. Schweren Herzens lässt er Tochter und Sohn beim Großvater zurück, ohne zu wissen, wann er seine Kinder wiedersieht. Denn hinter dem Wurmloch warten nicht nur die unendlichen Weiten des Weltraums, sondern auch Raum-Zeit-Phänomene, die nicht unbedingt synchron zum Erdendasein verlaufen. Im letzten Jahr bewies Alfonso Cuaróns meditativer Science-Fiction Gravity, dass das All als filmischer Raum immer noch eine große Faszinationskraft besitzt. Nolans Erzählansatz ist weniger ein poetischer als ein epischer, der die Grundfragen unseres (Über-)lebens in einer dramatischen Geschichte und großen Kinobildern erörtert. Fast drei Stunden nimmt er sich dafür Zeit. Langeweile kommt hier trotzdem nicht auf. Die dystopischen Bilder einer Erde, die sich nicht mehr retten lässt, sind ebenso faszinierend wie die kosmischen Welten, die sich hinter jenem Wurmloch auftun, das von einer nicht näher benannten höheren Macht als Notausgang für die Menschheit neben den Saturn platziert wurde. Wie schon in seiner Batman-Trilogie und in Inception erweist sich Nolan als Meister des anspruchsvollen Mainstreamfilms, in dem Unterhaltung und Intellekt nicht als Widerspruch begriffen werden. Großes Familiengefühlskino, in dem die Vater-Tochter-Beziehung zum sentimentalen Epizentrum wird, steht neben phantastischen Actionszenen sowie hochkomplexen mathematischen, physikalischen und philosophischen Diskursen, die nicht als pseudowissenschaftliches Beiwerk, sondern als erzählerisches Fundament dienen. Erneut öffnet Nolan Türen zu Räumen, in die sich das Kino bisher nicht vorgewagt hat. Martin Schwickert USA 2014 R: Christopher Nolan B: Jonathan Nolan, Christopher Nolan K: Hoyte Van Hoytema D: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Jessica Chastain. 169 Min.
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