Inside Llewyn Davis Schöne Verlierer Die Coen-Brüder richten ihren gewohnt ironischen Blick auf den Beginn der Folk-Bewegung Man schreibt das Jahr 1961 im New Yorker Greenwich Village, wo in verrauchten Kellerbars eine kleine Folkmusik-Szene vor sich hin blüht. In zwei Jahren wird Bob Dylans "Freewheelin'"-Album herauskommen und die Folkmusik zum Soundtrack der aufkommenden Protestbewegung machen. Aber das ahnt hier noch keiner. Llewyn Davis (Oscar Isaac) ist ein begnadeter Folk-Troubadour, dessen Talente von der Musikindustrie vollkommen ignoriert werden. Das in kleiner Auflage erscheinen Debütalbum "Inside Llewin Davis" will sich nicht verkaufen, und seit sein Freund und Mitspieler von der George-Washington-Bridge gesprungen ist, macht sich auch eine kreative Krise breit. Eine Wohnung kann sich der vagabundierende Musiker nicht leisten, und so schläft er sich von einer Couch zur nächsten. Im zwischenmenschlichen Umgang hat der Künstler wenig Talent. Dankbarkeit zu zeigen, gehört nicht zu seinen Stärken, und so nimmt die Zahl der Freunde und Verwandten, die ihm einen Gefallen tun wollen, rapide ab. "Alles was du anfasst, verwandelt sich in Scheiße", sagt Jean (Carey Mulligan) zu ihm. Sie weiß, wovon sie spricht, denn aus einem von Llewyns Übernachtungsbesuchen ist ihre Schwangerschaft hervorgegangen, und für die Abtreibung muss sich der unzuverlässige Gelegenheitsliebhaber nun das Geld zusammenleihen. Und dann ist da auch noch die Katze, auf die er für einen seiner Wohltäter aus der Upper West Side aufpassen soll. Natürlich läuft das Tier weg - und taucht in entscheidenden Momenten wieder auf, um dem Schicksal des hadernden Helden einen Stups zu geben. Keiner kümmert sich im Kino so gut um die Verlierer dieser Welt wie die Coen-Brothers. Vom gepeinigten Autohändler Jerry Lundegaard in Fargo über den strohdummen Fitnesstrainer Chad in Burn After Reading bis zu dem verzweifelnden Familienvater Larry Gopnik in A Serious Man waren es immer wieder die vom Pech verfolgten Kreaturen, die die Brüder mehr fasziniert haben als irgendwelche dahergelaufenen Siegertypen. Inside Llewyn Davis reiht sich ein in diese Parteinahme für die Gebeutelten, aber im Gegensatz zu den Vorläuferwerken paart sich hier der ironische Blick auf das menschliche Fehlverhalten und die wirren Wege des Schicksals mit einem Bekenntnis zu echter Melancholie. Das winterliche New York, das nur mit ein paar Haifischflossen-Autos in den frühen Sechzigern verankert wird, ist ein unwirtlicher Ort, durch den der strauchelnde Musiker ohne Mantel und mit stets hochgezogenen Schultern mäandert. Allenfalls in den verrauchten Gewölben des "Gaslight Cafés" kommt ein wenig Wärme auf, wenn die Sänger auf der Bühne in frisch gewaschenen Strickpullovern ihr ganzes Herz in die Interpretation traditioneller Folk-Songs legen. Die Coens widmen sich dieser Musik mit voller Aufmerksamkeit. Die Songs werden prinzipiell in ganzer Länge ausgespielt und nicht als Hintergrundmusik eingesetzt. Eine zarte Unverfälschtheit ist in dieser Musik, die später einen Grundstein für die amerikanische Gegenkultur legen soll. Einmal macht sich Llewyn auf nach Chicago, um einem bekannten Musikproduzenten vorzuspielen. Während der verfrorene Sänger sich die Seele aus dem Leib singt, schaut der Mann ihm ungerührt zu. Als der letzte Ton verklungen ist, bewegt sich der Mund im steinernen Gesicht des Produzenten und sagt nur: "I don't see any money in this" - eine hin- und herzzerreißende Szene, in der künstlerische Ambition und kommerzielles Kalkül brutal aufeinander knallen. Auch wenn man Inside Llewyn Davis als Hommage an all die talentierten Künstler lesen kann, die deutlich weniger Glück in der Unterhaltungsindustrie hatten als die Filmemacher selbst, heißt das nicht, dass die Coens mit mitleidigem Blick auf ihren Antihelden schauen. Wenn die fabelhafte Carey Mulligan in der Rolle der verbitterten Freundin Llewyn mit unnachgiebiger Härte demontiert, würden die Geschworenen der Anklage in allen Punkten Recht geben. Dass man den Kerl trotzdem mögen lernt, ist das Verdienst der Coens, die auch hier wieder ihren freien, vorbehaltlosen und humorvollen Umgang mit den Unzulänglichkeiten des menschlichen Seins unter Beweis stellen. Martin Schwickert USA/F 2013 105 min R&B: Joel und Ethan Coen K: Bruno Delbonnel D: Oscar Isaac, Carey Mulligan, John Goodman
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